
Foto: Andreas Kühlken
Titelthema: richter
„Können uns nicht von Fehlern freimachen“
Thomas Veen liebt die Menschen. Der Präsident am Landgericht Osnabrück kann selbst in deren Abgründen noch das Gute erkennen. Einen absolut schlechten Menschen hat er noch nicht getroffen
…
Was fasziniert Sie an ihrem Beruf?
Mich fasziniert die Möglichkeit, über die Angelegenheiten der Menschen und die Dinge entscheiden zu dürfen, die die Menschen bewegen. In keinem anderen Beruf übernimmt man so früh so große Verantwortung.
Welche Fähigkeiten muss ein Richter haben?
Zunächst muss er ein guter Jurist sein. Wer Richter ist, muss sich mit dem Auftrag der Justiz identifizieren können und in der Lage sein, verantwortungsvoll mit Macht umzugehen. Er muss soziales Verständnis mitbringen und Konfliktfähigkeit besitzen. Ein wesentliches Merkmal ist auch die Verhandlungsfähigkeit.
Es kommt nicht selten vor, dass der ein oder andere dabei erkennt: Der Beruf ist nichts für mich. Auch solche Entscheidungen muss man treffen können. Überhaupt: Entscheidungen zu treffen, ist eine wichtige Eigenschaft. Wer zögert und zaudert, der ist falsch in unserem Beruf.
Wie wichtig ist der Gerechtigkeitssinn für Ihren Beruf?
Das ist natürlich ein wichtiges Merkmal. Jeder Richter muss ein ausgebildetes Koordinatensystem haben, aus dem sich sein Gerechtigkeitssinn speist.
Woraus speist sich Ihr Koordinatensystem?
Vor allem aus meinem familiären Background. Außerdem ist auch mein Glaube sehr wichtig und gibt mir eine Marschrichtung. Ich mache keinen Hehl daraus, dass mich das schon immer sehr stark geprägt hat. Für mich ist auch immer wichtig gewesen, gesellschaftlich Verantwortung zu übernehmen. Ich bin so ein klassischer Vereinsmeier. Auch das hat mein Koordinatensystem ausgebildet.
Die Aufgabe des Richters ist es, den Sachverhalt zu klären, Beweise zu sichten und sich daraus eine Überzeugung zu bilden. Das bedeutet keine unumstößliche Gewissheit zu erlangen und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur, dass der Richter einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit erlangen muss, „der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet“ – so formuliert es der Bundesgerichtshof. Sich diesen Grad von Überzeugung zu bilden, ist nicht einfach. Das ist gerade am Anfang eine anspruchsvolle Aufgabe.

Wie wichtig ist bei Entscheidungen Ihr Bauchgefühl?
Das ist etwas, was ich den jüngeren Kollegen sage: Wenn ihr über einen Sachverhalt entscheiden müsst, befragt zuerst euren Bauch, dann subsumiert unter den Gesetzestext und anschließend fragt zur Kontrolle noch einmal euren Bauch, erst dann entscheidet! Sie sehen: ein Drittel Technik, zwei Drittel Bauchgefühl.
Manchmal ist aber auch der Bauch unentschlossen …
Zweifel gehören dazu. Immer wieder mal denkt man im Nachhinein: War das jetzt richtig? Das ist ganz normal. Ich glaube auch, jeder Richter liegt in seinem Leben auch durchaus mal falsch – hoffentlich natürlich sehr selten!
Im Strafverfahren hat das aber weitreichende Konsequenzen …
Natürlich. Es ist sehr, sehr tragisch, wenn jemand unschuldig bestraft wird oder gar Jahre im Gefängnis verbringen muss. Deswegen müssen wir sorgfältig arbeiten und dürfen möglichst keine Fehler machen. Tragisch ist ein Fehler eigentlich überall. Derzeit entscheide ich im Wesentlichen in Mietangelegenheiten. Wenn man hier falsch liegt und eine Familie muss aufgrund eines Fehlurteils eine Wohnung verlassen, ist das schon tragisch. Aber auch wir können uns nicht von Fehlern freimachen. Das ist menschlich!
Sie haben ständig Kontakt zu Menschen, die falsch gehandelt haben. Können Sie trotzdem noch an das Gute im Menschen glauben?
Wenn man die aus meiner Sicht notwendige Liebe zu den Menschen entwickelt, dann sieht man alle Facetten des Lebens. In der Kirche spricht man von Sünde. Auch die Sünde gehört zum Leben und man muss damit umgehen. Allerdings geht es in unserem Beruf oftmals um Menschen, die sich mit ihren Mitmenschen streiten und die den Konflikt nicht ohne gerichtliche Hilfe lösen können. Hier geht es vor allem darum, Menschen möglichst wieder zusammenzubringen. Das kann etwas sehr Befriedigendes sein.
Wie sehr stützt Ihr Glaube Sie dabei?
Der Glaube ist für mich ein selbstverständlicher Teil meines Lebens. Er stützt mich nicht nur, sondern treibt mich auch an. Ich glaube, dass wir alle von Gott die Aufgabe erhalten haben, dort wo wir stehen, und mit unseren Fähigkeiten die Dinge nach Kräften positiv zu beeinflussen. Das will ich mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln nach Kräften versuchen.
Blick auf das Leben hinter den Gesetzen
Im Studium in Münster hat Thomas Veen erkannt, dass Jura alles andere als staubtrocken ist. Hinter den Gesetzen hat er das Leben gesehen. Der 51-Jährige aus der Grafschaft Bentheim ist seit einem Jahr Präsident des Landgerichts in Osnabrück. Seit gut 20 Jahren ist er als Richter tätig, hat an verschiedenen Gerichten und im Justizministerium in Hannover gearbeitet. Aktuell ist er Vorsitzender einer Zivilkammer, die vor allem Mietsachen entscheidet. Den Spaß an Jura hat er nicht verloren und seine Bauchentscheidung, Richter zu werden, nie bereut. Thomas Veen ist verheiratet und hat drei erwachsene Kinder.
Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Andreas Kühlken
Eine längere Version dieses Gesprächs finden Sie in unserem Heft.