
Foto: Andreas Kühlken
Titelthema: insel
Sieben Tage für Gott und für mich
Martina Jeßnitz hat sich Zeit für Exerzitien genommen – in Stille, auf der Insel Juist. Eine Zeit mit innerlichen Stürmen
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Sieben Tage auf der Insel, sieben Tage für mich, sieben Tage für Gott. Ich freue mich seit Wochen auf diese Zeit, auch wenn ich nicht genau weiß, was mich erwartet. Ich werde auf selbstverständliche Dinge verzichten: mein Handy und den Kontakt zu Freunden und Familie. Ich werde die Zeit weitgehend schweigend verbringen. Ohne Musik, Bücher, Zeitungen und andere Medien. Eine Ausnahme gibt es: die Bibel. Außerdem im Gepäck sind ein Notizbuch und mein Lieblingsfüller, um meine Gedanken festzuhalten. Dass es sich füllen wird, bezweifle ich nicht.
Auf der Fähre spüre ich ein mulmiges Gefühl im Bauch: Kann ich Ruhe finden, Gedanken sortieren, meinem Glauben näherkommen? Ich gehe an Deck, lasse mir den salzigen Wind um die Nase wehen und beobachte die Möwen, wie sie kreischend über uns fliegen. Mit meiner Lieblingsmusik aus den Kopfhörern hätte ich das wahrscheinlich verpasst.
In der Stille kommen Gedanken auf
Auf Juist peitscht der Regen mir entgegen. Die erste Andacht in der Kapelle verbringe ich mit nassen Füßen und schreibe den ersten Punkt auf meine innere To-Do-Liste: Gummistiefel. Doch es dauert nicht lange, da hört das Nachdenken und Planen auf. Ich bin da.
Neben der abendlichen Andacht hat jeder Exerzitientag noch zwei feststehende Termine: Um 7.30 Uhr findet die Morgenmeditation statt. Anschließend setzen Schwester Michaela und ich uns zusammen. Sie ist meine geistliche Begleiterin. „Wie ist das Leben weitergegangen?“, fragt sie, und schon sprudelt es aus mir heraus. Das Reden ist heilsam zwischen all dem Schweigen. Es hilft mir, das zu sortieren, was da so ungeordnet aufkommt. Mit ein paar Fragen schafft Schwester Michaela es, mich zum Nachdenken – besser: zum Nachspüren – zu bringen. Sie gibt mir Bibelstellen, die zu einzelnen Themen passen und mich begleiten. Für den Rest des Tages habe ich mir eine Struktur überlegt: Da gibt es neben Essenszeiten auch Zeiten für Gebet, Bewegung und die Bibel. „Wenn man nicht weiß, wo der Weg hingeht, ist es hilfreich, ein Geländer zu haben, an dem man sich festhalten kann“, hat Schwester Michaela gesagt – sehr passend, nicht nur für die nächsten Tage.
Es ist Morgen, ich habe das Rollo hochgezogen. Vier Rehe blicken mich verschlafen an. Sie scheinen direkt vor meinem Fenster übernachtet zu haben. Langsam stehen sie auf und staksen über die nasse Wiese davon. Welch schöne Begrüßung an einem Morgen, der endlich blauen Himmel zeigt! So überraschend wie die Rehe vorm Fenster sind die Themen, Fragen und Erkenntnisse, die in mir auftauchen – ohne Kontrolle oder Plan. Schwester Michaela hat Recht: Zum Glück habe ich ein Halt gebendes Geländer – auf geht’s zur Kapelle!
Eine wohltuende Mischung aus Gelassenheit und Hoffnung
Dann sitze ich schon wieder an Deck der Fähre, die Exerzitien sind vorbei. Die Sonne scheint und der Sturm der ersten Tage hat sich gelegt, auf der Insel und in mir drin. Ich genieße die letzten Momente der Ruhe, bevor es zurückgeht in den Alltag, zu Verpflichtungen und Terminen. Vor allem aber warten da Menschen, die mir am meisten gefehlt haben. Ich möchte berichten, was ich von hier mitnehme. Da ist dieser eine schöne Stein vom Strand, das sind ein bisschen Sand an meinen Gummistiefeln und reichlich Erkenntnisse. Vor allem aber möchte ich dieses Gefühl behalten: eine wohltuende Mischung aus Gelassenheit und Hoffnung. Meinen Glauben.
Text: Martina Jessnitz
Fotos: medienREHvier.de, Stephanie Jegliczka // privat
