Titelthema: Ehrenamt

Ehrenamt an der Grenze zum Tod

„Ich wollte etwas Gutes tun, etwas das wirklich wichtig ist. Existenziell quasi.“ Kristina Themann arbeitet seit einem Jahr ehrenamtlich beim Ambulanten Kinderhospizdienst Osnabrück

Kristina Themann ist lebenslustig, fröhlich, sie lacht viel. Genau so jemanden hat sich die Familie aus Osnabrück gewünscht. Die siebenjährige Tochter ist von Geburt an mehrfach schwerstbehindert. Sie kann sehen und hören, aber nicht sprechen. Alle zwei Wochen besucht Themann das Mädchen, immer dienstags für drei Stunden am späten Nachmittag. „Meist liegt sie schon im Bett, wenn ich komme. Da muss man sich dann schon was einfallen lassen, was sie anspricht“, sagt die 42-jährige Religions- und Biologielehrerin. Sie singt gerne: „Aber keine Kinderlieder, sondern deutsche Popsongs von Mia, Joris oder Silbermond“, sagt sie und lacht. Sie liest dem Kind auch vor oder massiert Hände und Arme. „Manchmal schläft sie dabei ein. Das macht mich fast ein bisschen stolz, dass sie sich in diesen Momenten so wohlfühlt.“

Kristina Themann ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Osnabrück. Den Gedanken, sich beim Kinderhospiz zu engagieren, habe sie schon länger gehabt. Auf einer Infoveranstaltung sei dann der Funke übergesprungen. „Seitdem bin ich Feuer und Flamme dafür. Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Es ist einfach so wichtig, diese Familien zu unterstützen“, sagt Themann.

Vorbereitungskurs hat Angst genommen

Der Ambulante Kinderhospizdienst in Osnabrück begleitet derzeit über 20 Familien in Osnabrück und im Umkreis. Die 60 Ehrenamtlichen kümmern sich um die erkrankten Kinder, sind Ansprechpartner für die Eltern oder widmen sich den gesunden Geschwistern. Das wollte auch Kristina Themann machen: gemeinsame Ausflüge, zum Schwimmunterricht gehen oder auf den Spielplatz. „Erst habe ich mir nicht zugetraut, mich um ein erkranktes Kind zu kümmern“, gibt Themann zu. Doch der Vorbereitungskurs habe ihr diese Angst genommen.

„Das war eine tolle Erfahrung und ich fühle mich dadurch sehr gut vorbereitet und begleitet. Ich habe dort viel über mich gelernt“, sagt sie. Natürlich sei die Theorie sehr wichtig gewesen – über Krankheiten, über den Sterbeprozess, über die Trauer von Kindern. Aber es ging auch um eigene Erfahrungen: Wie denke ich über Tod und Leben? Welche Ängste und Hoffnungen habe ich? „Das war sehr persönlich. Da flossen einige Tränen“, erinnert sich Themann. Aber es sei wichtig gewesen, darüber zu sprechen: „Um ganz für das Kind da sein zu können, müssen die eigenen Taschen leer sein. Da darf man nicht die eigenen Probleme mitnehmen.“

Heute ist es für sie ganz normal, mit dem schwerkranken Mädchen zu sprechen und sie zu berühren. Das bringt sie nicht ins Stolpern. Sie weiß aber auch: „Ich habe keinen einfachen Babysitterjob. Man darf nicht vergessen, dass es hier um Leben und Tod geht.“ Eine Erkältung kann für das Kind schnell zu einer lebensbedrohlichen Lungenentzündung werden. „Das Mädchen ist so schwer erkrankt, dass es vor seinen Eltern sterben wird“, sagt Themann.

In den vergangenen zwölf Monaten hat sie noch keine ernste Krisensituation erlebt. „Aber natürlich ist man nah dran. Als das Mädchen für eine schwere Operation ins Krankenhaus musste, war ich in Gedanken oft bei ihr“, sagt Themann. Grundsätzlich schaffe sie es aber, zwischen dem Ehrenamt und ihrem Privatleben zu trennen. Falls ihr das einmal schwerfällt, hat sie ihren Notfallkoffer: „Im Vorbereitungskurs haben wir überlegt, was uns Kraft gibt“, sagt Themann. Bei ihr sind das die regelmäßigen Treffen mit anderen Ehrenamtlichen, die Zeit mit ihrem Mann und mit Freunden sowie Spaziergänge mit ihrem Hund Balou.

Der gehört seit neuestem als Besuchshund auch zum Team des Hospizdienstes. „Balou verströmt einfach pure Lebensfreude und er lässt sich unglaublich gerne streicheln“, sagt Kristina Themann und lacht. Wo genau der Golden Retriever eingesetzt wird, steht noch nicht fest. Denkbar wären aber auch Familienbesuche in der Trauerbegleitung. „Einem Hund kann man noch mal eher etwas ins Fell flüstern und anvertrauen als einem Erwachsenen“, sagt Themann.

Hat das Ehrenamt sie verändert? Kristina Themann muss überlegen. Sie will schon „Nein“ sagen, doch dann: „Ich habe nicht mehr so große Angst vor dem Tod und vorm Sterben“, sagt sie. „Wenn mich früher jemand gefragt hätte, was ich noch tun möchte, wenn ich noch drei Monate zu leben hätte, hätte ich gesagt: Reisen! Ich muss die Welt sehen.“ Jetzt sieht Kristina Themann das anders: „Heute würde ich sagen, dass ich die letzten Wochen mit meinen Liebsten verbringen möchte. Ich möchte mit meinem Mann zusammen sein und mit meinen Freunden. Ich sehe dann immer das Bild eines geöffneten Fensters mit sanft wehenden Gardinen vor mir. So ruhig und friedlich würde ich es mir wünschen.“

Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Hermann Pentermann

Ambulanter Kinderhospizdienst Osnabrück

Seit fast zehn Jahren gibt es den Ambulanten Kinderhospizdienst Osnabrück. Die Ehrenamtlichen sind oft im Tandem für die Familie da: Zu zweit wechseln sie sich mit wöchentlichen Besuchen ab. Meist begleiten sie die Familie über mehrere Jahre – von der Diagnose bis über den Tod des Kindes hinaus. Der Kinderhospizdienst möchte die Lebensqualität der ganzen Familie verbessern. Dafür werden die Ehrenamtlichen geschult. Sie haben die Möglichkeit zum Austausch untereinander und mit Fachkräften. Für die Familien ist der Dienst kostenlos. Der Ambulante Kinderhospizdienst finanziert sich über Fördergelder und Spenden. Besuchshunde oder Musiktherapie können nur dank Spenden angeboten werden.Weitere Infos: www.osnabruecker-hospiz.de

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