Titelthema: drei-religionen-schule

Damit anderes Denken möglich wird

Sie ist ein Gegenentwurf. Keine antisemitischen Schmierereien, keine islamfeindlichen Vorurteile, kein uninspiriertes Christentum. In der Drei-Religionen-Grundschule Osnabrück werden religiöse Anerkennung und Wertschätzung bewusst gelebt

„Wenn ich mir selber eine Schule nach meinen Vorstellungen hätte stricken können, dann hätte ich sie so gemacht“, sagt Birgit Jöring, die Schulleiterin der Drei-Religionen-Schule in Osnabrück. „Nach meinem Vorstellungsgespräch damals hatte ich das Gefühl, nur noch hier arbeiten zu können. Alles andere wäre zu frustrierend gewesen.“ 

Die Drei-Religionen-Schule in Osnabrück ist ein bundesweit einmaliges Projekt: Jüdische, christliche und muslimische Kinder lernen hier gemeinsam Lesen, Schreiben und Rechnen – und die Religion ihrer Mitschüler genau kennen. Die muslimischen Verbände der Stadt, die jüdische Gemeinde und die katholische Schulstiftung des Bistums Osnabrück arbeiten seit 2012 eng zusammen, damit das Projekt Drei-Religionen-Schule gelingt.

„Wir haben mit den Religionsvertretern und mit den Lehrern überlegt, wie wir die Religionen erfahrbar machen können. Wie gestalten wir den Unterricht, Projekte und Themenwochen? Wie lernen sich die Kinder wirklich kennen?“, erinnert sich Jöring. Daraus entwickelten sich zum Beispiel die Morgenkreise, in denen die Kinder ihren Mitschülern in der Klasse religiöse Feste und Bräuche erklären.

„Fußballplatz immer noch interessanter als Religion“

An der Drei-Religionen-Schule ist Religion kein Dauerthema, das alles andere überdeckt, aber Religion wird bewusst gelebt. Jüdische Jungs haben hier angstfrei ihre Kippa auf dem Kopf. Ein muslimisches Mädchen hat sich daraufhin gewünscht, ein Kopftuch zu tragen. In den Klassenzimmern steht im Dezember sowohl ein Adventskranz als auch ein Chanukka-Leuchter. 

„Die Kinder führen keine theologischen Streitgespräche. Der Fußballplatz ist immer noch erheblich interessanter als die Religion“, sagt Jöring und lacht. „Aber: Die Kinder sind sensibilisiert. Sie achten aufeinander und gehen verständnisvoll miteinander um.“ Jöring erinnert sich an ein Gespräch mit einer katholischen Mutter: „Sie erzählte mir von den Vorbereitungen für die Geburtstagsfeier ihrer Tochter, die jüdische und muslimische Mitschüler eingeladen hat. Die Tochter hat die Mutter ermahnt, es dürfe keine Gummibärchen auf den Muffins geben. Und Cordon Bleu? – Nein, das ginge nun gar nicht.“ Birgit Jöring machen solche Erlebnisse ein klein wenig stolz: „So bereiten wir die Kinder auch ein Stück weit auf unsere multikulturelle Gesellschaft vor. Es ist ein Zeichen von Anerkennung und Wertschätzung, wenn ich darauf achte, dass auf meiner Feier alle alles essen dürfen.“ 

Diese Wertschätzung spürt sie auch im interreligiösen Beirat der Schule. „Natürlich wird da diskutiert“, sagt sie. Gerade zum Schulstart sei die Schulküche immer wieder Thema gewesen. Dort können alle Schüler täglich zu Mittag essen, bekommen koschere und halal-zertifizierte Mahlzeiten. Der Umgang mit den Speisen, das Geschirr, die Essensausgabe – alles musste genau geregelt werden. „Bei allen Diskussionen geht es aber immer um die Sache. In den Gesprächen ist eine anerkennende Grundhaltung“, sagt Jöring. „Man weiß, dass man mit Menschen spricht, die religiös leben. Sie erkennen zwar eine andere Wahrheit an als die eigene, aber sie leben diese Religion dennoch sehr bewusst.“ 

Auch bei den Eltern erlebt sie immer wieder einen herzlichen Umgang miteinander. Jöring, die auch schon im staatlichen Schuldienst gearbeitet hat, sagt: „Es ist bei uns nicht so, dass sich Gruppen bilden. Es stehen nicht die Muslime in der einen und die Christen in der anderen Ecke. Bei uns ist es auf Schulfesten oder Elternabenden gleich ein gutes Miteinander.“ Besonders ist ihr ein Gespräch zwischen einer jüdischen Mutter und einer Mutter mit palästinensischem Hintergrund in Erinnerung geblieben, die vor einer Israel-Flagge standen: „Beide Mütter haben gesagt, dass diese Flagge in ihnen völlig unterschiedliche Gefühle auslöst. Aber sie haben sich gut verstanden und auch ihre Kinder waren miteinander befreundet.“ 

Jöring verbindet damit eine Hoffnung: „Vielleicht ist es naiv, aber ich denke, die Kinder können dazu beitragen, dass irgendwann ein anderes Denken zwischen den verschiedenen Religionen möglich ist.“ Denn gerade bei den Kindern spürt sie eine große Offenheit: „Sie interessieren sich für die Religionen, fragen nach, vergleichen und respektieren die Unterschiede. Mehr will ich als Lehrer ja gar nicht erreichen, als diese Neugierde zu wecken.“

Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Andreas Kühlken

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