
Nachgedacht
Von den zwei Wegen: 7,13-14
Einheitsübersetzung 2016
Geht durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und es sind viele, die auf ihm gehen. Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und es sind wenige, die ihn finden.
Arbeitsübersetzung
Geht hinein durch das enge Tor. Denn breit ist das Tor und weit der Weg, der (weg-)führt ins Verderben, und viele sind es, die durch es hineingehen; wie eng ist das Tor und gedrängt der Weg, der (weg-)führt ins Leben, und wenige sind es, die es/ihn finden.
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Wie breit ist eigentlich das enge Tor?
Ungewöhnliche Fragen als Denkanstöße über einen Wegratgeber mit Impulspotenzial
Buchhandlungen sind nach wie vor voll damit: mit Ratgeber- und Wegweiserliteratur. Von Erziehungs- über Ernährungs- bis hin zu Lebensratgebern. Und wer sich ganz konkret auf den Weg machen möchte, findet nicht nur Karten und Reiseführer en masse, sondern auch grundsätzliche Begleitung zum Beispiel fürs Pilgern oder Rucksackreisen. Auch in der Bibel kann ich über Ratgeber- und Wegweiserliteratur stolpern. Ein besonders spannender Wegratgeber findet sich in Mt 7,13–14. Gegen Ende der Bergpredigt, unmittelbar nach der vermutlich gut bekannten „Goldenen Regel“ („Alles nun, was auch immer ihr wollt, dass euch die Menschen tun, so tut auch ihr ihnen. Dies nämlich ist das Gesetz und die Propheten.“) begegnet uns ein Spruchpaar, das es in sich hat: „Geht hinein durch das enge Tor. Denn breit ist das Tor und weit der Weg, der (weg-)führt ins Verderben, und viele sind es, die durch es hineingehen; wie eng ist das Tor und gedrängt der Weg, der (weg-)führt ins Leben, und wenige sind es, die es/ihn finden.“ (Mt 7,13f. Arbeitsübersetzung) Diese beiden Verse fordern heraus – exegetisch und spirituell. Von daher: Nehmen wir Mt 7,13f. mal genau unter die Lupe.
Die Sache mit den beiden Toren und den beiden Wegen wirkt auf einen ersten Blick wie eine Spielart der klassischen weisheitlichen Zwei-Wege-Lehre. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppen sich diese beiden Verse als durchaus vertrackt. Schon die Bezüge sind nicht eindeutig klar – deswegen in der Arbeitsübersetzung: „es/ihn“.
Unstrittig: Mt 7,13f. arbeitet mit der Vorstellung von zwei Toren, die kontrastiert werden: eng vs. breit. Zudem kommen zwei Wege in den Blick, die ebenso voneinander abgegrenzt werden: gedrängt vs. weit. So weit, so gut. Doch ob das Tor jeweils am Anfang des Weges steht oder den Abschluss des Weges bildet, das ist schon nicht mehr klar.
Ebenfalls nicht eindeutig: Was finden nur wenige – das Tor oder den Weg? Wenn die beiden Teilsätze („Denn breit ist das Tor … // „wie eng ist das Tor …“) parallel konstruiert sein sollten, dann wäre hier eher an das Tor zu denken, da der erste Parallelsatz mit dem Hineingehen durch das Tor endet. Und die vermutlich viel entscheidendere Frage: Suchen nur wenige das enge Tor – und diese finden es quasi alle, sind damit aber immer noch nur wenige. Oder suchen viele danach, aber nur wenige finden es? Wie kommt es also, dass das eine Tor (breit) und der eine Weg (weit) so stark frequentiert sind, wohingegen es beim anderen Tor (eng) und Weg (gedrängt) zahlenmäßig überschaubar bleibt?
Mit diesen, vielleicht ein wenig ungewöhnlichen Fragen sind wir mitten beim exegetisch höchst spannenden Kern angekommen. Mt 7,13f. kombiniert die gerade aus der weisheitlichen Literatur bekannte Zwei-Wege-Lehre Tugend vs. Laster, Leben vs. Verderben, Segen vs. Fluch … mit dem Bild vom Tor und dem Gegensatzpaar eng vs breit. Durch diese Kombination verändert sich ein entscheidender Aspekt. Und dies wiederum macht die in der Überschrift gestellte Frage höchst relevant. Bei der Zwei-Wege-Lehre werden nämlich für gewöhnlich die beiden Wege, zwischen denen zu wählen ist, deutlich vor Augen gestellt und zumeist auch näher qualifiziert. Hier gilt es, eine Wahl zu treffen, wobei eindeutig ist, in welche Richtung die weisheitlichen Texte lenken möchten – hin zu Tugend, Leben, Segen.
Der entscheidende Unterschied bei Mt 7,13f.: Weder werden die beiden unterschiedlichen Tore/Wege näher qualifiziert – abgesehen von der Breite – noch scheinen beide Wahloptionen einfach so verfügbar zu sein. Bei Mt 7,13f. stehe ich eben nicht einfach an einer Kreuzung und muss mich zwischen zwei Wegalternativen entscheiden. Stattdessen wird hier Suchanstrengung gefordert, um das enge Tor sowie den gedrängten Weg überhaupt zu finden. Es heißt am Ende von V. 14 ja nicht, dass nur wenige das enge Tor nehmen, sondern dass nur wenige es finden. Wenn man so will: Zwei-Wege-Lehre Level 2, mindestens Level 2.
Und jetzt ist die Frage quasi lebenswichtig: Woran erkenne ich das enge Tor und den zugehörigen Weg? Wie finde ich es/ihn? Allen, die für ihren Lebensweg Orientierung suchen, die sich nach ethischer Wegweisung sehnen, macht es Mt 7,13f. nicht gerade leicht. Da wird kein Patentrezept auf dem Silbertablett serviert. Stattdessen ist jede und jeder selbst gefordert. Es gilt Tag für Tag, auf der Suche zu sein und sich immer wieder zu vergewissern, ob man auf dem richtigen Weg unterwegs ist. Das ist grundsätzlich eine Frage der Haltung. Dabei gibt uns Mt 7,13f. zunächst mal nur ein Ausschlusskriterium an die Hand: Mit dem Mainstream zu schwimmen, sollten wir tunlichst vermeiden. Auf die Mehrheit zu schauen, bringt keinen Erfolg. Aber ansonsten? An dieser Stelle hilft uns der Blick in den literarischen Kontext weiter: Mt 7,12 sowie die Bergpredigt insgesamt (Mt 5–7) weisen den Weg.
Allen, die sich jetzt entspannt zurücklehnen und denken: „Okay, vielleicht fange ich morgen mal mit dem Suchen an!“, sei noch ein abschließender Blick in Lk 13,23–30 empfohlen. Die Beobachtung: Bei Lukas gibt es nur noch eine Tür, und die ist eng. Schwierig zu finden scheint sie nicht zu sein; es wird vielmehr die Vorstellung von einer vor dem Eingang drängenden Menge erweckt. Zwar versuchen viele hineinzukommen, aber es schaffen nur wenige. Der Einlass ist eben eng. Da braucht es quasi Ellbogen, um sich durchzusetzen. Was erschwerend hinzukommt: Die Zeit, in der die Tür offensteht, ist begrenzt. Irgendwann (der Zeitpunkt wird nicht verraten) schließt der Hausherr die Tür. Und dann haben alle, die noch draußen davorstehen, Pech gehabt. Wer zu spät kommt … Im Unterschied zu Matthäus setzt Lukas gewissermaßen noch einen drauf: Die Zeit läuft. Irgendwann ist es zu spät. Und es gilt, sich gegen zahlreiche Konkurrenz – rechtzeitig! – durchzusetzen. Die klare Botschaft: Haltet euch ran, damit ihr noch reinkommt! Gute Vorsätze alleine reichen nicht. Und das Verschieben auf den Sanktnimmerleinstag ist keine Option – zumindest keine, die zu Leben und Segen führt.
Mt 7,13f. und Lk 13,23–30, gerade in der Kombination, bieten mir als geistlich suchendem Menschen einen Wegratgeber mit zeitlosem Impulspotenzial: sich nicht selbstsicher zurücklehnen, sondern stets auf der Suche nach dem rechten Weg sein – und damit nicht erst morgen anzufangen („Ja, morgen, ja morgen, fang ich ein neues Leben an …“), sondern direkt hier und jetzt. Gut Weg!
Text: Christian Schramm
Illustration: Patrick Schoden