Titelthema: 22 Fragen
Expertin in Sachen Liebe
Sie selbst mag ein katholisches Ideal leben. Der Einsatz von Martina Kreidler-Kos gilt aber mindestens ebenso jenen, die diesem vermeintlichen Ideal nicht entsprechen. Ein Gespräch mit einer Expertin in Sachen Liebe
1. Was heißt für Sie Liebe?
Das ist eine steile Frage zum Einstieg! Aber: Ich habe das Glück, seit 26 Jahren mit ein und demselben Mann verheiratet zu sein und das sehr gerne! Wenn ich an ihn denke fällt mir eine schöne Definition ein: „Liebe ist ein Feuer, von dem man nie weiß, wie es ausgeht!“ Natürlich gibt es unterschiedliche Phasen und Facetten auch in unserer Liebe, aber mein Mann und ich, wir hüten dieses Feuer. Wir müssen nicht solche Sätze sagen, wie „An Beziehungen muss man arbeiten“ oder „Beziehungen kommen in die Jahre“.
2 Aber solche Sätze hört und liest man doch sehr oft.
Ja, das kriegt man immer wieder zu hören! Ich finde, das klingt nach ganz viel Nüchternheit und, ehrlich gesagt, oft genug freudlos. Die Vorstellung, man könne Liebe zusammenzimmern, halte ich für falsch. Liebe kann man nicht bauen. Das ist zumindest meine Erfahrung. Man muss schon immer mal wieder zusammenarbeiten, aber ich würde meinen Mann und mich nach all den Jahren als ein Liebespaar bezeichnen – nicht als ein gut eingespieltes Team.
3 Sie sind verheiratet, haben vier Kinder, sind kirchlich hoch-engagiert. Sie sind das katholische Ideal.
(lacht) Ja, absolut. Wir sind eine katholische Bilderbuchfamilie, das weiß ich!
4 Und wie gehen Sie mit diesem Ideal um?
Das Schöne ist, dass ich so tatsächlich heiße Eisen in der Kirche leichter anpacken kann. Mit dieser Biographie kann ich mich stärker zum Beispiel für Partnerschaftssegnungen einsetzen als andere. Und da bin ich durchaus zu strategischem Tun bereit.
Die Frage von Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare liegt Martina Kreidler-Kos am Herzen. Sie versucht die Arbeitsebene in den Diözesen zu vernetzen und möchte gemeinsam schauen, was in diesem Punkt möglich ist – und was nicht.
5 Sehen Sie sich denn auch als Ideal?
Nein! In Amoris Laetitia schreibt Papst Franziskus: „Familie ist eine herausfordernde Collage aus vielen unterschiedlichen Wirklichkeiten aus Freuden, Dramen und Träumen.“ Das finde ich grandios! Es gibt kein Ideal von Familie – und auch wir sind alles andere als ideal. Wir müssen uns den gleichen Herausforderungen stellen, wie alle anderen Familien. Da ist es völlig egal, ob das Etikett katholisch drüber hängt oder nicht.
6 Aber die Ehe bleibt ja die katholische Hochform von Partnerschaft.
Ja. Wenn wir Beziehungen anschauen, ist die sakramentale Ehe der Goldstandard. Aber nicht, weil sie dieses Etikett hat, sondern, weil dahinter das steht, wonach die meisten Menschen sich sehnen: Ausschließlichkeit, Treue, Verlässlichkeit, Kinder.
7 Da würden Ihnen nicht-gläubige Paare aber auch zustimmen.
Ja, aber wir Christen und Christinnen glauben, dass diese Werte durch die sakramentale Ehe geschützt sind, dass Gott das, was bei den Menschen schon da ist, schützt und unterstützt. Daran glaube ich und ich schätze und hoffe und liebe es, dass Gottes Segen über unserer Familie liegt.
8 Fühlen sich Ihre Kinder denn als Teil einer Ideal-Familie?
Ich glaube nicht. Sie haben schon mitbekommen, dass es etwas Besonderes ist, in einer Großfamilie aufzuwachsen. Das gibt es ja nur noch selten. Aber ich habe auch noch sehr gut in Erinnerung, dass unser Ältester kurz vor seinem Abitur gesagt hat, er hätte bislang eine Überdosis Familie gehabt und bräuchte jetzt ein bisschen Abstand.
9 Und wie war das für Sie?
Das war schrecklich! Ich bin eine Glucke! Ich hätte sie am liebsten alle vier ganz nahe bei mir. Ich muss viel lernen, um sie loszulassen und sie gehen zu lassen. Zugleich bin ich auf alle wahnsinnig stolz, dass sie ihre eigenen Wege gehen. Wenn ich mir vorstelle, sie würden noch alle zu Hause wohnen, wäre das auch schlimm. Eigentlich haben mein Mann und ich alles richtig gemacht, wenn sie abenteuerlustig sind und voller Energie und Pläne ihr Leben anpacken.
10 Worauf haben Sie in ihrer Erziehung denn Wert gelegt? Was wollten Sie Ihren Kindern mitgeben?
Sie sollten sowohl den Menschen, denen sie begegnen, als auch der Welt an sich zugewandt sein. Das ist eine tiefe Hoffnung von mir, dass sie einfach gerne leben und glücklich werden. Das wünscht sich natürlich jede Mutter, aber ich sehe da auch ein Stück Spiritualität: Die Welt, das Leben und die Zeit, die meine Söhne haben, sind ihnen geschenkt.

Martina Kreidler-Kos und ihr Mann haben ihre Kinder ermutigt, ihre Talente zu nutzen. Der Älteste will nach einem Philosophie- und Literaturstudium nun promovieren, der Zweite arbeitet am Theater und will Regie studieren. Ihre jüngeren Söhne gönnen sich nach dem Abitur eine Work-and-Travel-Auszeit.
11 In ihrem Beruf erleben Sie immer wieder, dass Beziehungen scheitern. Sie sehen und wissen, was in einer Partnerschaft alles schiefgehen kann. Wie sehen Sie mit diesem Wissen Ihre eigene Familie?
Es ist ein großes Glück und als gläubige Frau würde ich auch sagen: Das ist Gnade, für die wir gar nichts können. Das ist mir wichtig: Es ist weder verdient, noch eingefädelt, noch erarbeitet. Am Ende ist es ein Geschenk, über das mein Mann und ich nur staunen können. Letztendlich ist die Liebe ein Geheimnis.
12 Welche Ratschläge würden Sie jungen Paaren mit auf den Weg geben?
Investiert Zeit! Egal, ob die Kinder klein sind oder beide in tollen Jobs stecken, die Gefahr ist riesig, dass man für alles Zeit findet außer füreinander. Und das ist schwierig. Das kennt ja jeder auch von Freundschaften: Wenn man Freunde nicht oft sieht, dann lebt man sich auseinander. Papst Franziskus sagt ganz richtig: „Liebe braucht geschenkte Zeit!“
13 Was noch?
Genießt zu zweit! Findet Dinge, die euch gut tun. Man muss viel Zeit damit verbringen, das Leben zu managen. Aber es ist wichtig, so ein paar Dinge zu finden, die man als Paar gerne macht. Wir tanzen zum Beispiel. Das ist total schön und wichtig. Das ist Paarzeit für uns, ganz unverzweckt.
14 Und haben Sie noch einen Ratschlag?
Habt Kinder zusammen! (lacht) Das klingt jetzt wieder super-katholisch, aber so bin ich es gerne! Ich denke oft, dass die Liebe immer über sich hinauswächst. Liebe hat eine produktive Kraft. Das können gemeinsame Kinder sein, Adoptiv- oder Pflegekinder oder auch ein gemeinsames gesellschaftliches oder kulturelles Engagement.
15 Was meinen Sie mit dieser produktiven Kraft genau?
Bei Paaren, die sagen: „Wir zwei sind uns genug“ werde ich immer skeptisch. Ich würde sagen: Damit geht es doch los! Wenn man das Gefühl hat: Genau der oder die muss es sein! Und er oder sie ist nicht nur genug, sondern die Fülle überhaupt für mich, dann hat das eine Kraft, die sich entfalten muss.
16 Wann spüren Sie diese Kraft?
Wenn ich im Lot bin, wenn wir als Paar und Familie im Lot sind, wenn ich das Gefühl habe, da gibt es ein festes Fundament, das nicht wackelt, dann schaffe ich total viel. Dann kann ich mich auch gerade hier im Büro mit unglaublich vielen und komplizierten Dingen befassen. Wenn Zuhause alles in Ordnung ist, dann denke ich oft, ich kann hier wirklich alles stemmen. Ich wüsste nicht, was passiert, wenn mein Fundament wankt.
17 Welche Rolle spielt Gott für Sie in der Liebe?
Das ist ein Punkt über den die Kirche viel offener sprechen müsste. Was hat ein liebender Gott mit Erfahrungen von Liebe zu tun? Das betrifft auch den Bereich der Sexualität. Die berührendsten Erfahrungen machen Menschen dort. Aber wir denken eher: Der liebe Gott hat etwas damit zu tun, wie ich mich sozial verhalte, wie ich die Welt sehe, wie ich mich zur Umwelt verhalte und beten – das geht für andere, für Kranke. Aber Liebes- und Glaubenserfahrungen zusammenzubringen – da haben wir ganz wenig Fantasie in der Kirche.
18 Warum?
Wir halten uns da bedeckt, weil das schnell schwierig wird, weil das Gelände so vermint ist. Dabei ist das eigentlich irre! Wenn man verliebte Menschen fragen würde, würden sie sagen, die Schöpfung ist ganz großartig, weil sie diesen einen Menschen hervorgebracht hat. Man ist Gott nie dankbarer für seine gelungene Schöpfung, wenn man in den Armen eines geliebten Menschen liegt. Wenn wir verliebt sind, dann spüren wir, dass wir nichts dafür tun können und dass wir die Liebe überhaupt nicht im Griff haben. Da spüren wir ein Stück Unverfügbarkeit und – ja auch den Überschwang Gottes.
19 Ein Grund, warum das Gelände so vermint ist, ist die kirchliche Sexualmoral.
Im Moment kann man die Kirche wirklich als so eine Art Moralagentur wahrnehmen. Das müssten wir stoppen. Es muss um etwas anders gehen, nicht um Verbote, sondern um Orientierungshilfe. Unsere Gesellschaft bietet ja wenig, woran sich die Menschen inhaltlich orientieren können. Als Kirche hätten wir da was zu bieten: Treue, Ausschließlichkeit, Verlässlichkeit.
20 Und doch sind das Kirchenrecht und der Katechismus sehr eindeutig.
Papst Franziskus setzt mit seinem Familienpapier Amoris Laetitia ganz neue Impulse. Das Schreiben rückt nicht die Lehre der Kirche in den Mittelpunkt, sondern das Leben der Menschen. Das ist völlig neu.
21 Auf was beziehen Sie sich bei Ihrer Arbeit stärker? Den Katechismus und die Kirchenlehre oder Amoris Laetitia?
Immer auf Amoris Laetitia.
22 Sie sind ein echter Fan des Papstschreibens!
Ja! Papst Franziskus zeigt darin, dass er keine Angst vor der Liebe hat. Das fasziniert mich sehr. Am Anfang, als ich Amoris Laetitia lesen sollte, dachte ich mir: Jetzt will mir also ein Papst die Liebe erklären. Dann bin ich mal neugierig, wie er das macht. Und er macht es so schön! Er findet ganz berührende Worte und wird nicht peinlich, vielleicht ein bisschen großväterlich, aber das ist okay. Er ist über 80 Jahre alt. Er hat keinerlei Berührungsängste und das finde ich wohltuend. Wenn wir daraus eine Kultur entwickeln könnten und schätzen könnten, was die Liebenden der Welt geben und was sie auch der Kirche geben, fände ich das großartig.
Interview: Kerstin Ostendorf
Fotos: Andreas Kühlken
Theologin, Autorin und Dozentin
Martina Kreidler-Kos (*1967) ist in Bad Waldsee in Oberschwaben aufgewachsen und studierte Katholische Theologie in Tübingen. Sie ist Diözesanreferentin für Ehe und Familie im Bistum Osnabrück und leitet den Fachbereich Übergemeindliche Pastoral. Außerdem arbeitet sie als Autorin und Dozentin. Sie ist mit dem Moraltheologen Elmar Kos verheiratet, hat vier Kinder und lebt im Osnabrücker Land.