Fotos: Andreas Kühlken

Titelthema: kämpfen

Siege, Niederlagen und zerplatzte Träume

Als Profi-Fußballer hat er viele Höhen und Tiefen erlebt. Als Lehrer an einem Bielefelder Gymnasium soll Manuel Hornig auch Toptalente für den Profisport. Einblick in ein normales Gymnasium, das gleichzeitig Talentschmiede ist  

„Und? Wer von euch hat gestern Arminia gesehen?“ Die Jungen und Mädchen der fünften Klasse umringen Manuel Hornig. Aufgeregt geht es um die bittere Niederlage im DFB-Pokal gegen Schalke 04 am Vorabend im Bielefelder Stadion, der „Alm“. Viele Jungen tragen Jacken, Schals oder Mützen von Arminia. Die Bedeutung von Fußball vor allem des heimischen Zweitligavereins ist greifbar. Das Helmholtz-Gymnasium ist NRW-Sportschule, Eliteschule des Fußballs und Partner des Deutschen Fußball Bundes für die Talentförderung. Neben Basketball und Volleyball steht Fußball im Fokus. Hier sollen „talentierte Nachwuchssportlerinnen und -sportler (…) ganzheitlich auf die Anforderungen des Spitzensports vorbereitet werden und neben sportlichen Erfolgen auch den bestmöglichen Schulabschluss erreichen.“ Willkommen im Land der künftigen sportlichen Elite.

Vom Profiverein angeworben und später aussortiert

Manuel Hornig holt Kaffee, wir gehen ins Untergeschoss des denkmalgeschützten Gebäudes. Schmale Fenster lassen nur etwas Herbstlicht in den karg eingerichteten Bibliotheksraum. Der 1,90-Meter-Mann ist nicht nur Lehrer für Erdkunde und Sport, sondern auch Ex-Fußballprofi, der alle Aufs und Abs als Sportler kennt: Als Kind stürmt er für den SC Olympia Rheinzabern, einem 5000-Leute-Dorf im Süden von Rheinland-Pfalz. Sein Papa, ein Lehrer, ist der Trainer. Zur C-Jugend wechselt Manuel zum traditionsreichen Karlsruher SC. „Meine Eltern haben mir das mit viel Zeit ermöglicht. Im Nachhinein weiß ich nicht, wie ich das mit der Schule hinbekommen habe.“ Ende der B-Jugend wird er beim KSC aussortiert und spielt wieder in der Provinz. Mit 19 hat er das Abi in der Tasche, beginnt in Mainz sein Lehramtsstudium für Erdkunde und Sport.

2005 wechselt er zum 1. FC Saarbrücken, erst in die zweite Mannschaft, dann zu den Zweitliga-Profis. Aus dem Stürmer wird ein Verteidiger. Es folgen Stationen bei Kickers Offenbach, 1. FC Kaiserslautern und TuS Koblenz. Er erlebt Aufstiege, bis in die erste Liga, aber eben auch Abstiege. Das Studium läuft nebenher weiter. 2011 geht er zu Arminia Bielefeld in die Dritte Bundesliga, kämpft wieder um Auf- und Abstiege, wird Kapitän und Liebling der Fans, weil er „immer alles reingehauen“ hat, wie er selbst sagt. Bis zum 16. März 2014. Bis zum Kreuzbandriss. Ein Jahr lang dauern Heilung und Reha. Eine Zeit, die Hornig auch für das Erste Staatsexamen nutzt.

Danach findet sich der bisherige Leistungsträger meist als Ersatzspieler auf der Bank wieder. Weitere Verletzungen folgen, es reicht nicht mehr. 2017 beendet er seine Karriere. „Einfach war das nicht.“ Hornig verstummt kurz, bevor er weiterspricht. Er wirkt nicht wie jemand, der sich vergräbt. Eher wie einer, der sich von seinen Eltern und Geschwistern getragen weiß und das auch seinen eigenen drei Kindern weitergeben will. Einer, der gelernt hat, sich nicht blenden zu lassen. „Es ist toll, vor tausenden Menschen zu spielen“, beschreibt er. Doch der Rasen ist nur ein Teil der Bühne im Leben eines Profifußballers. Das kostenlose Essen hier, die Einladung und der Fototermin da. Hornig kennt die Gefahren dieser Welt. „Eine Studie hat ja belegt, dass sieben Jahre nach dem Ende ihrer Profikarriere rund die Hälfte aller Fußballprofis pleite ist. Weil sie eben keinen Plan B haben.“ Hornig, der Bodenständige, der im Frühjahr sein Referendariat abgeschlossen hat. „Hier bin ich der Lehrer, weniger der Ex-Profi“, sagt er und wirkt zufrieden. Sich in den Vordergrund zu drängen, ist halt nicht sein Ding. Dabei macht er die im Profibereich obligatorische A-Trainerlizenz und ist Co-Trainer der U-16-Mannschaft im Nachwuchsleistungszentrum von Arminia Bielefeld.

Auf zur Turnhalle. Die verströmt keinen Glamour, sondern den Schweiß von Schülergenerationen. Ein Neubau ist erst in Planung. Heute ist Abschluss einer Einheit zum Thema Ballspiele. Ein kurzer Pfiff mit der Pfeife. In weniger als einer Minute sitzen die Jungen und Mädchen mucksmäuschenstill im Kreis. Nach dem Begrüßungsritual erklärt Hornig das erste Spiel „Kegel klauen“. Der 36-Jährige ist körperlich präsent, ohne zu dominieren, spricht unaufgeregt und strahlt große Ruhe aus, lässt die Schüler Nachfragen stellen und sich gegenseitig beantworten – auch das in ruhiger Atmosphäre.

Gerecht – ein häufig genutzter Begriff

Hornig teilt zwei Mannschaften ein. „Überlegt euch, wer vorne spielt und wer hinten.“ Die Teams besprechen sich. Es wirkt wie gut geübte Praxis. Los geht die Jagd, bei der die Teams sich gegenseitig Pylone stehlen und zum eigenen „Haus“, einem Gymnastikring, bringen müssen. Gut zehn Minuten geben alle Vollgas und kämpfen um den Sieg. Wieder ein Pfiff, wieder der Mittelkreis. „Was war gut und was nicht?“, fragt Hornig. „Die haben sich alle um ihren Ring versammelt“, mault ein Mädchen. Der Widerspruch hält sich in Grenzen. „Wie können wir das Problem lösen?“, fragt er. In kurzer Zeit entwickeln die Kinder Ideen, wie sie die Spielregeln anpassen können. „Meint ihr, dass das Spiel damit für alle gerecht ist?“

Gerecht – ein häufig genutzter Begriff von Manuel Hornig. Fair sollen die Jungen und Mädchen miteinander umgehen. Ein weiterer Begriff ist Teilhabe, niemand soll vom Spiel ausgeschlossen werden. So gibt es später beim Swapball einen „Mädchenball“, der für die Jungen tabu ist. Die von der Klasse selbst getroffene Regelung ist nicht unumstritten, doch verhindert sie, dass übereifrige Jungen die Spiele komplett dominieren.

 

Wie wichtig das ist, zeigt sich beim Völkerball. Wilder und unkontrollierter leben einige Jungen ihre körperlichen Vorteile aus. Hornig greift nur ein, wenn Regeln verletzt werden, hält sich aber ansonsten zurück. In der Nachbesprechung beklagen sich einige Kinder, an den Rand gedrängt worden zu sein. Andere tönen, es könne noch mehr werden. Ganz ruhig sagt Manuel Hornig: „Dass hier jemand ausgeschlossen wird, wird es an dieser Schule nicht geben.“ Ein Blick in die Runde. Kein Widerwort. Beeindruckend ist die Szene deshalb, weil Hornig nicht laut wird und keine große Geste macht. Mit natürlicher Autorität gibt er den Rahmen vor. Und der wird in diesem Moment akzeptiert.

Das ist wichtig. Denn zu allererst ist das Helmholtz-Gymnasium ein ganz normales Gymnasium, unter anderem mit einem Schwerpunkt in Naturwissenschaften. Jetzt, zu Anfang des fünften Jahrgangs, sind Sportskanonen und andere Kinder im Sportunterricht zusammen. Erst in Kürze erfolgt die Aufteilung. Dann gibt es an der vierzügigen Schule eine Sportklasse. 

Bis zu 90 Kinder bewerben sich jedes Jahr um die rund 30 Plätze. Die Sportlehrer Thomas von Gradowski und Michael Felsch halten hierfür die Fäden in der Hand. „Die Ergebnisse eines sportmotorischen Tests entscheiden darüber, ob ein Kind in diese Klasse kann“, erklärt Felsch. Für den Traum der Profikarriere nehmen manche Kinder Schulwege von 50 Kilometer in Kauf. Bei der Auswahl kommt es aber natürlich auch zu Enttäuschungen, oft auch von Eltern. Doch geht es nicht um deren Träume, sondern die Leistungen ihrer Kinder. Hier soll sportliche Elite gefördert werden. Das bedeutet zum Beispiel für Schulmannschaften, dass wirklich nur die Besten ins Team kommen. „Daneben haben wir aber viele AGs, die natürlich allen Schülerinnen und Schülern offenstehen“, betont Gradowski.

„Jungs müssen auf dem Teppich bleiben“

Die Zusammenarbeit mit Arminia Bielefeld geht so weit, dass etwa Jomaine Consbruch noch Schüler und doch schon Profi ist. Dafür wird er an einigen Tagen vormittags fürs Training freigestellt, muss aber nachmittags mit Lehrern oder Erziehern nacharbeiten. „Wir müssen darauf achten, dass die Jungs auf dem Teppich bleiben“, meint Schulleiter Joachim Held. Kein Wunder, verdient ein Spieler in der Zweiten Bundesliga doch offenbar durchschnittlich 450.000 Euro im Jahr. „Die Zahl jener, die dauerhaft vom Sport leben können, liegt im Promillebereich“, stellt Held klar. Elitenbildung Ja, elitäres Gehabe Nein. Schon fast sinnbildlich dafür steht im Eingangsbereich der Schule eine Vitrine voller Pokale und Urkunden, die in ihrer schlichten Schönheit aber erst beim zweiten Blick auffällt. 

Text: Rainer Middelberg

Fotos: Andreas Kühlken

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