Titelthema: 22 Fragen
"Der Gipfel ist aufrichtiges Schweigen"
Er bringt Menschen dazu, einem Bankautomaten Danke zu sagen, und 15.000 Besucher in einer großen Arena zum Schweigen. Ein Gespräch mit dem Kabarettisten Matthias Brodowy über Quatsch und den Umgang mit ernsten Themen
1 Sie fordern immer wieder Ihr Publikum auf, Quatsch zu machen. Machen Sie das auch selbst?
Ja. Ich kann ein extrem alberner Mensch sein. Peter Pan will nie erwachsen werden. Ich habe mir geschworen, erwachsen zu sein und mir trotzdem zuzugestehen, dass in mir noch ein Kind ist. Manche aus dem Publikum nehmen meine Aufforderung auch ernster, als ich das gemeint habe.
2 Inwiefern?
Als Student, so vor 25 Jahren, hatte ich eine kleine Nummer: Ich habe erzählt, dass ich in einem Geldautomaten jobbe, wie ich mich da reinzwängen muss und wie schwierig das ist, die Listen mit den Geheimzahlen schnell abzugleichen. Zum Schluss habe ich gesagt: Wenn Sie beim nächsten Mal einen Geldautomaten benutzen, denken Sie an den armen Kerl, der dadrin sitzt, und sagen Sie ihm freundlich „Danke“.
3 Und was ist passiert?
Vor zehn Jahren stand ich an einem Geldautomaten. Vor mir war noch jemand dran, er sah mich, zog die Karte raus, beugte sich zum Automaten und sagte: Danke! Zu mir sagte er: Das habe ich mir gemerkt! Und lächelte. Und das ist es: Ich möchte die Menschen zum Lächeln bringen.
4 Aber Sie wollen mehr, als dass die Menschen sich nur anlächeln.
Meine Botschaft an das Publikum ist ein humanistisches Ideal: Die Geschichte in unserem Land ist sehr traurig, mit vielen Brüchen. Man kann sie nicht ändern, aber man kann daraus Lehren ziehen. Eine Lehre ist für mich der Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das steht über allem, was ich tue.
5 Insofern sind Sie bei Ihren Auftritten auch politisch.
Wenn ich über die Gesellschaft rede, über Anfeindungen und Antisemitismus oder über Fundamentalismus in jeder Form, dann ist das immer politisch. Diese Gesellschaft spaltet sich und es gibt Leute, die das aktiv betreiben. Dagegen müssen wir Kabarettisten uns wehren, indem wir sagen, dass es so viel gibt, was uns verbindet.
6 Gibt es Themen, die nicht auf die Bühne gehören?
Mit Sicherheit. Einige Kollegen würden mir widersprechen, aber ich habe Tabuthemen.
7 Welche sind das?
Es gab Kollegen, die sich immer wieder über Wolfgang Schäuble als Rollstuhlfahrer lustig gemacht haben. Das finde ich unzulässig, primitiv, dämlich und eklig. Der Mann hat ein schweres Schicksal: Er war gesund, ist angeschossen worden und sitzt nun seit 29 Jahren im Rollstuhl. Ich kann über seine Politik scherzen, aber alles andere sind nur Äußerlichkeiten. Ich habe aber zum Beispiel auch noch nie etwas zum Thema Schwangerschaftsabbruch gemacht.
8 Auch ein Tabu?
Es wäre sicherlich ein Thema, was auf die Kabarettbühne gehören kann, aber ich weiß nicht, wie ich davon sprechen soll. Lustig geht das gar nicht. Aber Kabarett darf auch sehr ernste Themen haben.
9 Zum Beispiel?
Ich habe schon häufiger den Krieg thematisiert. Ich habe von alten Menschen gesprochen, die mir weinend erzählt haben, wie sehr sie darunter leiden, dass sie ihre Väter nie kennengelernt haben. Das ist ein Thema für die Kabarettbühne, insbesondere in Zeiten, in denen Politiker sagen, wir müssten unsere Soldaten häufiger irgendwohin schicken.

Beim Thema Krieg wird Matthias Brodowy emotional. Vor einigen Jahren radelte er an einer evangelischen Kirche vorbei, in der drei junge Soldaten aufgebahrt waren, die in Afghanistan gestorben sind. „Es liegt jenseits meiner Vorstellungskraft, dass Kinder, die ich aus meinem Stadtteil kenne, Soldaten werden und in Afghanistan von einer Mine in die Luft gesprengt werden“, sagt er. Er ist kein radikaler Pazifist, er möchte aber, dass nichts beschönigt wird: „Wenn wir von Operationen oder Einsätzen sprechen, verändert sich die Sprache. Wenn der Soldat im Zinksarg zurückkommt, war es aber Krieg.“
10 Solche Themen enden auf der Bühne aber nicht mit einem Lacher, oder?
Nein. Das endet oft mit einem Schweigen oder mit einem Gesinnungsapplaus, der sicherlich nicht von allen kommt. Aber das finde ich gut. Ich bin froh, wenn ich mein Publikum auch mal spalte. Eine Zeitung nannte mich einmal den perfekten Schwiegersohn. Das ist das Schlimmste, was ein Kabarettist lesen kann. Hätte man mir das Programm zerrissen, wäre das nicht so schlimm gewesen, wie diese Überschrift. Wenn ein Kabarettist nur noch nett ist, dann macht er etwas falsch.
11 Und Sie können es aushalten, wenn das Publikum einfach nur still ist?
Ja, das kann ich. Ich habe ein wunderbares Schweigen erlebt, als Hanns Dieter Hüsch bei einer Veranstaltung ein Gedicht über Rechtsradikalismus vorgelesen hat. Danach war es 40 oder 50 Sekunden still im Saal. Das war so kraftvoll. Es war ein ehrliches und betroffenes Schweigen.
12 Haben Sie das auch selbst einmal auf der Bühne erlebt?
Ja, es gab vor ein paar Jahren ein großes Treffen der Kolpingsfamilien in Köln. Da waren 15.000 Leute in der Lanxess-Arena und ich sollte eine halbe Stunde Programm machen. Das war für mich natürlich der Hammer! Das ist aber auch ein Selbstläufer. Je mehr Menschen, umso einfacher ist es auf der Bühne. Aber das wollte ich nicht.
13 Was haben Sie getan?
Ich wollte es mir selber schwer machen und habe einen Text eingebaut, der sehr still ist. Der stärkste Moment meines Auftritts war nicht, als alle gelacht haben. Der stärkste Moment war, als diese Lanxess-Arena so still war, dass man nichts mehr gehört hat. Das ist der Gipfel dessen, was ich erreichen kann: nicht der große Lacher, sondern das aufmerksame, ehrliche und aufrichtige Schweigen.
14 Und das Nachdenken.
Ja, das ist es, was ich will. Ich will die Leute unterhalten, aber ich will sie auch zum Nachdenken bringen. Diese Stille, die war fantastisch. Durch die Halle ging ein richtiges Schaudern. Aber es war auch sehr gefährlich, weil ja nicht klar war, ob ich die Leute da wieder rausholen kann.
15 Und wie schaffen Sie das?
Im Zweifelsfall mit einem Witz. Auch das habe ich bei Hanns Dieter Hüsch gelernt. Der hatte ganz ernste Texte, über den Krieg und die gefallenen Soldaten. Pause. Und dann: Warum fällt eigentlich das Brot immer mit der Marmeladenseite nach unten auf den Boden? Radikaler Themenwechsel, keine Überleitung – das ist das Leben. Das Leben macht keine Überleitungen, es macht heute so und morgen ist alles anders.
16 Müssen Sie mit Lampenfieber kämpfen?
Nein.
17 Tatsächlich nicht? Fast alle Bühnenstars sagen doch, sie hätten Lampenfieber.
Beim Kabarett kenne ich es nicht. Ich habe Sorge, ob die Texte gut ankommen. Aber das ist eher der zweifelnde Literat im Hintergrund. Bei mir ist es vor einem Auftritt umgekehrt: Wann geht‘s los? Ich will raus!
18 Sind Sie ein Perfektionist auf der Bühne?
Ich habe Kollegen, die schimpfen mit mir, weil ich nach einem Auftritt immer sage: Das ist schiefgegangen und das und das auch. Ich brauche keine Perfektion in Sachen Pointen. Es muss nur Perfektion herrschen im Gespräch zwischen mir und dem Publikum.
19 Brauchen Sie auf der Bühne etwas, um sich wohlzufühlen?
Ich brauche ein nettes Publikum. Vor einem Jahr hatte ich einen Auftritt in der Schweiz. Da waren acht Zuschauer in einem Raum, in den 250 reinpassen. Das ist hart. Natürlich bin ich aufgetreten und ich glaube, der Abend war besonders gut, weil ich mir viel Mühe gegeben habe. Aber da merkt man, dass es eine Zuschaueruntergrenze gibt. Alles unter 40 oder 50 Besuchern ist hart erkämpft.
Im Varieté trägt er den glitzernden Smoking, auf der Kabarettbühne reicht Matthias Brodowy eine Jeans, ein Hemd und ein schlichtes Sakko. Was aber nie fehlen darf: Ein Einstecktuch und passend dazu bunte und auffällige Schuhe. „Das ist eine Art Aberglaube von mir: In den Schuhen, da steht man. Das gibt den Halt. Die müssen immer gut sein“, sagt Brodowy.
20 Was war ihr schwierigster Auftritt?
Das ist schon einige Jahre her. Ein Auftritt in Celle, zu dem nur vier Zuschauer gekommen sind. Wir haben uns um meinen Flügel auf die Bühne gesetzt. Ich habe erzählt und gesungen und die Zuschauer haben eingeworfen, was ihnen einfällt. Der Auftritt hat fast drei Stunden gedauert. Es war für alle ein unglaublicher Spaß – aber für mich auch ein echter Kampf. Ich hätte danach mein Hemd auswringen können, so gefordert war ich.
21 Sie spielen aber nicht nur in kleinen Theatern. Vor kurzem haben Sie Ihr 30-jähriges Bühnenjubiläum an zwei Abenden mit jeweils über 1000 Zuschauern gefeiert. Was macht so ein Auftritt mit Ihnen?
Das war ein berauschender Abend. Die Leute haben Standing Ovations gegeben. Ich weiß nicht, ob man nicht auch Gefahr laufen kann, irgendwann ein bisschen größenwahnsinnig zu werden, wenn man sowas erlebt.
22 Was bewahrt Sie davor?
Mein Glaube ist da eine wichtige Rückversicherung. Ich freue mich über den Applaus, ich bin dankbar für den Abend, aber das wars auch. Ich weiß, das ist nicht das Wichtigste im Leben. Es gibt viel mehr Dinge, die wichtiger sind, zum Beispiel, dass meine Kinder gesund sind, dass ich mich in meinem Umfeld wohlfühle. Das klingt banal, ist aber tausendmal wichtiger.
Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Andreas Kühlken
Fast Gymnasiallehrer
Der Hannoveraner Matthias Brodowy (47) steht seit 30 Jahren auf der Bühne. Schon sein Onkel bescheinigte ihm als Sechsjährigen nach einer seiner Rudi-Carell-Einlagen, dass er einst ein Showmaster werden würde. Dabei hat Brodowy zunächst Germanistik, Geschichte und katholische Theologie studiert, um Gymnasiallehrer zu werden. Das Kabarett kam ihm dazwischen, wie er sagt: Seit er 1999 den ersten Niederrheinischen Kabarettpreis von Hanns Dieter Hüsch gewann, unterhält er sein Publikum auf Bühnen in ganz Deutschland.