Lachen
Clowns weinen anders
Ihren Job als Krankenschwester und OP-Kraft gibt sie auf. Denn sie ist sicher, dass Patienten mehr benötigen als Operationen und Therapien. Birgitta Gutsch-Esser wird Klinikclown Lotta. Sie gibt sich zum Albern frei, um kranken und sterbenden Menschen ein Lächeln zu schenken
„Eine Sachertorte und ein Kännchen Cappuccino“ bestellt Clownin Lotta immer, falls die Krankenschwester im Zimmer gerade die Essenskärtchen einsammelt. Wenn die Dame darauf besteht, dass nur bestellen darf, wer im Krankenhaus liegt, legt Lotta sich sofort auf den Boden und faltet brav die Hände auf der Brust. Hilft zwar nicht, aber es zaubert den meisten Patienten sofort ein Lächeln ins Gesicht. Und darum geht es.
„Klinikclowns veralbern nicht, sie geben sich selbst zum Albern frei“, weist Birgitta Gutsch-Esser – alias Lotta – auf den entscheidenden Unterschied hin. Und sie räumt noch gleich ein weiteres Vorurteil vom Tisch: „Clown spielt man nicht, Clown wird man.“ Die sechs Klinikclowns rund um Lotta besuchen nicht nur Patienten in Krankenhäusern, sondern auch auf Palliativstationen sowie Gäste im Hospiz und Bewohner von Behinderteneinrichtungen vornehmlich im nördlichen Münsterland. „Auch Sterbende möchten noch lachen dürfen – wer stirbt, will nicht immer davon reden“, begründet Gutsch-Esser das breite Engagement der Rotnasen. Ihre Kollegen und sie haben auch mit Demenzkranken viel Bewegendes erlebt.
Um ein guter Clown zu sein, bedarf es intensiver Arbeit
Gutsch-Esser bezeichnet sich selbst als Clownin im Ruhestand, seit sie vor Kurzem den Rentenbescheid bekam. Zwanzig Jahre lang stand sie dem Verein „Klinikclowns im Kreis Steinfurt“ vor und führt die Geschäfte trotz Umzugs nach Essen weiter, bis die Nachfolge geregelt ist. Birgitta Gutsch-Esser strahlt viel Fröhlichkeit aus, lebt ihren Alltag und ihre vielen Interessen aber außerordentlich ernsthaft. Das steht nur begrenzt im Gegensatz zu ihrem ausgelassenen Alter Ego namens Lotta: Denn um ein guter Clown zu sein, bedarf es intensiver Arbeit.
Birgitta Gutsch-Esser kennt die ernsten Seiten von Krankenhaus und Pflege. Als gelernte Krankenschwester und OP-Kraft zunächst. Doch wuchs in ihr dann der Zweifel, ob sie allein so den Menschen gerecht wird. „Die Medizin ist sehr eingleisig, lässt rechts und links von Operationen und Therapien wenig zu“, erinnert sie sich an ihre frühe Berufslaufbahn, „das reichte mir nicht mehr.“ Das liegt vor allem an ihrer tiefen Empathie für Menschen, die sie nicht allein als Patienten begreifen konnte und wollte. „Ich habe oft stumm Stoßgebete und Fürbitten für sie abgesetzt, damit ich besser klarkomme“, erinnert sie sich. Doch im OP-Alltag funktionierte sie weiter.
Dumme Rotnase statt weiser weißer Clown
Birgitta Gutsch-Esser orientierte sich mit Ende 30 noch einmal um. Fachabitur, Studium der Sozialpädagogik – oft parallel zu Diensten in diversen Krankenhäusern und dem Alltag als Mutter einer Tochter. Dann stand ein Praktikum im Kulturreferat der Uniklinik Münster an. Hier kam sie zum ersten Mal mit den Klinikclowns in Kontakt – und war begeistert. Sie begab sich auf die Suche nach dem Clown in ihr selbst. Und machte ungeahnte Entdeckungen. „Ich dachte immer, ich sei ein weiser weißer Clown, dabei bin ich eine dumme Rotnase“, lacht sie. Die Aufteilung kommt vom klassischen Zirkus, wo stets ein weißer Clown mit gespieltem Ernst auftritt, der von quirligen Rotwesten gestört wird. Ihre Rolle in dem ewigen Spiel fand sie an der Theaterschule Hannover – bei einem weiteren Studium. Heute sagt sie stolz: „Ich bin als Lotta zwar tollpatschig und dumm, aber immerhin eine Clownin mit Diplom!“ Und mit ganz viel Herz. Das spürt sofort jeder, der Lotta begegnet. Verrückte Frisur, rote Nase, kunterbunte Klamotten. Sobald sie mit ihrem braunen Koffer ein Zimmer betritt, verlassen Konventionen und Alltag fluchtartig den Raum. Bewaffnet mit Utensilien wie Handpuppe Schnuffel, Plastikfisch Alex, Pupskissen, Luftballons und einer Klobürste als Mikrofon wirbelt sie eine neue, frische Wirklichkeit herbei. Eine Gegenwart, in der jeder so sein kann, wie er will – weil Lotta so ist, wie sie ist. Ihr Motto lautet: „Ich mach mein Herz auf: Möchtest du reinkommen?“ Die Naivität, mit der Lotta so allen Menschen begegnet, ist tief in der Rolle angelegt, wirkt weder gespielt noch gekünstelt. Sie berührt unmittelbar und lässt Berührungen zu.
„Ich lege mich oft neben einen Patienten oder berühre ihn behutsam, wenn das die Situation zulässt“, erzählt Birgitta Gutsch-Esser. Ihre Lotta lässt Gefühle ehrlich zu, indem sie diese mimisch übertreibt: Die geschminkten Augen staunend geweitet, den Mund zu einem ausgelassenen Lachen breit verzogen und – auch das kommt vor – Lotta lässt ihren Tränen freien Lauf. „Clowns weinen anders“, erläutert Gutsch-Esser, „sie zeigen ihre Traurigkeit offen, anstatt sie hinter den Händen zu verbergen.“ Die Botschaft ist klar: Emotionen sind nichts Schlimmes, sie sind urmenschlich, sie wollen und sollen raus.
Clowns erfassen so Ängste und Stimmungen ihrer Umgebung sehr genau und schaffen mit spielerischer Leichtigkeit eine menschliche Atmosphäre. Nicht immer geht es bei kranken oder sterbenden Menschen darum zu lachen. Oft stellen die Clowns über Erinnerungen einen Kontakt her zu schönen Erlebnissen, die die Menschen allein nicht abrufen können, oder hören einfach zu und ermöglichen einen anderen Umgang mit Angst oder Schmerzen. Somit sind sie Therapeuten im besten Sinne des Wortes. Solide Ausbildung und Reflexion gelten dabei als absolut grundlegend. Denn die Arbeit mit kranken, alten, dementen oder sterbenden Menschen setzt sie oft großer psychischer Anstrengung aus. Jeder Auftritt wird entsprechend intensiv vor- und nachbereitet.
Planbar ist indes nichts – anders als im Theater oder Zirkus. Die Regie entsteht aus der Situation der Menschen, die sie besuchen: Manche möchten aufgeheitert werden, andere plaudern oder einfach ein wenig Zerstreuung im schmerzhaften Alltag erleben. Passieren kann alles. Als Lotta einmal im Hospiz einem Sterbenden begegnete, der seinen Traum von der Schauspielerei zeitlebens nicht ausleben konnte, verabredete Lotta sich spontan mit ihm: „Geh schon mal vor. Wenn ich bald nachkomme, spielen wir gemeinsam.“ Der Mann lächelte und nickte. Clownerie kann eben so viel mehr als Jux und Dollerei.
Text: Peter Beutgen
Fotos: Marius Jacoby

Klinikclowns: Eine Idee reist um die Welt
Patch Adams, US-amerikanischer Arzt und geistiger Vater der Klinikclown-Idee, wollte die Lebensqualität seiner Patienten verbessern und nahm schon mal die Clownnase mit zur Visite. Seine Geschichte wurde mit Robin Williams verfilmt (siehe Filmtipp S. 34). Tatsächlich aber brachte der New Yorker Schauspieler und Clown Michael Christensen Mitte der 1980er-Jahre Clowns in die Klinik – und zwar auf Einladung einer Kinderklinik. Ab da hatte er ein festes Engagement in der Klinik. 1994 kam Laura Fernandez, eine ehemalige Kollegin Christensens, nach Wiesbaden. Seitdem sind in immer mehr Regionen Deutschlands Klinikclowns aktiv.
Die Klinikclowns im Kreis Steinfurt begannen ihre Arbeit 2001 im Mathias-Spital Rheine – zunächst unentgeltlich. Doch von Kinderlachen allein kann auch ein Clown nicht leben. Deswegen wurde ein Verein gegründet, der mittlerweile den Einsatz von sieben Clowns finanziert. „Wir engagieren nur ausgebildete Künstler; das sind die Einzigen, die von unserer Organisation bezahlt werden“, betont Birgitta Gutsch-Esser. „Dadurch garantieren wir die Professionalität der Arbeit.“ Mehr Infos: www.klinikclowns-steinfurt.de