Titelthema: 22 Fragen
"Ich wollte Muttersein und Schwestersein verbinden"
Sie ist Ordensschwester und Kinderdorfmutter von fünf Kindern. Ein Gespräch mit Schwester Jordana Schmidt über Gebetszeiten, die sie nicht einhalten kann, die Lust am Muttersein und die Wahl von Bischöfen auf Zeit
1 Wie fühlte es sich an, zum ersten Mal als Ordensfrau in einer Schule zum Elternabend zu gehen?
Nach Leben! Da ich in der Öffentlichkeit stehe, habe ich ganz früh gesagt, dass ich Schwester Jordana, die Kinderdorfmutter, bin. Wir haben die Kinder eingeladen und ihnen gezeigt, wie schön wir es hier haben.
2 Und was war Ihre bislang größte Herausforderung als Kinderdorfmutter?
Das Durchhalten und Ständig-greifbar-und-nie-alleine-Sein. Mein Ordensleben war eindeutig geregelter als jetzt und es gab mehr Zeiten für mich.
3 Warum sind Sie denn Kinderdorfmutter geworden?
Ich wollte gerne das Muttersein mit dem Schwestersein verbinden. Deshalb war ich in diesen Orden eingetreten. Das mache ich jetzt zehn Jahre. Mein jüngstes Kind ist zwei Jahre alt und weitere kleine Kinder werde ich nicht aufnehmen. Ich werde also diese Arbeit machen, bis es 18 Jahre alt sein wird. Dann gehe ich in Rente als Kinderdorfmutter.
4 Als solche leben Sie mit Kindern zusammen, die nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern sein können. Was ist dabei die größte Herausforderung?
Die Herausforderungen sind vielfältig. Mit fünf Kindern in der Familie müssen wir gut organisiert sein. Wir hatten auch schon Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten, sodass klare Grenzen und Regeln besonders wichtig waren. Da der Aufenthalt hier als Dauerpflege ausgelegt ist, befinden wir Kinderdorfmütter uns aber auch in einer Zwitter-Situation: Wir leben mit den Kindern in gewachsenen Beziehungen wie Eltern sonst auch – ich bin 24 Stunden am Tag für die Kinder da. Zum anderen sind wir aber auch Pädagogen, die mit einer professionellen Einstellung und Distanz handeln müssen. Dieser Spagat kann emotional anstrengend sein.
5 Als Ordensfrau haben Sie sich ganz der Gottesliebe verschrieben, aber jetzt sind sie vor allem für die Kinder da. Wie passt das zueinander?
Gegenfrage: Wie passt das nicht zueinander? Gottesliebe heißt ja nicht, dass ich irgendwo im Nirgendwo bin. Gottesliebe konkretisiert sich immer an Menschen. Und es gibt nichts Schöneres, als diese Liebe an Kindern zu konkretisieren.
6 Wie können Sie aber das Familienleben mit den ordensüblichen Gebetszeiten in Einklang bringen?
Das klappt nur bedingt. Meine Mitschwestern, die das schon hinter sich haben, sagen: „Das ist halt so. Wir beten für dich mit. Jetzt geht das Kind vor.“ Im Dominikanerorden steht der Mensch vor Zeiten und Gebeten. Denn der Dienst am Menschen ist Gebet.
7 Und wie leben Sie Ihre Spiritualität?
Ich bin immer von Dienstagabend bis Donnerstagmorgen im Konvent. Da ist Zeit für Spiritualität und körperliche Erholung. Als ich meine Jüngste aufgenommen hatte, konnte ich dort durchschlafen. Wir feiern alle zwei Wochen einen Gruppengottesdienst. Und ich mache einmal im Jahr Exerzitien. Ich setze mich aber auch mit spirituellen Fragen auseinander, wenn ich Interviews gebe, Texte schreibe oder Morgenandachten halte. Ich versuche in meinem Alltag den Auftrag Gottes zu sehen.
8 Fehlt Ihnen dabei die Stetigkeit des Ordenslebens?
Darauf verzichte ich gerade. Irgendwann muss ich mich sicher neu an das Ordensleben gewöhnen. Aber wer weiß, was das Leben bringen wird?
Schwester Jordana wirkt erschöpft. Obwohl sie selbst am Vortag noch krank war, eine Kollegin ausgefallen ist und Kinder krank sind, nimmt sie sich Zeit fürs Gespräch. Zwei Mädchen wuseln um uns herum, die Spülmaschine läuft und die Mikrowelle brummt. Telefon und Haustürklingel melden sich. Aus der Ruhe lässt sich Schwester Jordana trotzdem nicht bringen.
9 Sie wirken trotz Krankheit, Zeitdruck und Trubel im Haus erstaunlich entspannt.
Ich bin zufrieden mit dem, was ich gerade lebe. Ich bin Schwester – ob ich dreimal am Tag beten gehe oder nicht. Das habe ich auch dank einer guten geistlichen Begleitung gelernt. Ein innerer Kampf darum oder ein schlechtes Gewissen wäre nicht förderlich für eine gute Gottesbeziehung.
10 Und was bringt Sie auf die Palme?
Zum Beispiel meine Achtjährige, wenn sie absichtlich kotzt.

11 Sie sind schon mit 21 Jahren bei den Zisterzienserinnen eingetreten. Warum?
Das habe ich einer charismatischen und machtbesessenen Priorin zu verdanken. Die wollte mich schon mit 17 Jahren ködern, obwohl ich noch gar nicht reif dafür war. Meine Eltern hatten noch darauf bestanden, dass ich meine Ausbildung abschließe. Kurz vor der ewigen Profess, mit 24 Jahren, bin ich aber wieder ausgetreten.
12 Und wie ging Ihr Weg weiter?
Ich bin direkt zu den Dominikanerinnen von Bethanien gekommen. Hier wollte ich sofort die ewige Profess ablegen. Doch ich musste noch einmal ein Noviziat machen.
13 War das ein Problem für Sie?
Für mich war es zuerst schwierig. Im Nachhinein war es aber klug, um eine wirklich reife Entscheidung treffen zu können. Es hatte sich eine tiefe Gottesbeziehung entwickelt. Deswegen war die Berufung als solche richtig.
14 Und was ist hier anders als bei den Zisterzienserinnen?
Das ist die Art des Ordenslebens. Ich kam aus einem Orden mit strengen Regeln, streng klausuliert, mit strengem Schweigen und vielen Gebetszeiten. Hier war Offenheit. Hier wurde ich als Mensch mit meinen Fähigkeiten gewürdigt. Ich war auf Augenhöhe und fühlte mich angenommen. Es war locker, lustig und frei und trotzdem Ordensleben. Das hat mir gefallen.
15 Kam nicht der Wunsch nach einer eigenen Familie?
Die Gedanken waren da, natürlich. Ich hätte auch heiraten und Kinder bekommen können. Das wäre wahrscheinlich auch spannend geworden. Aber ich bin eher froh, dass ich das nicht gemacht habe.
16 Wieso?
Ich denke mir: Meine Güte, wie spannend ist dein Leben geworden, weil du in einen Orden eingetreten bist. Ich weiß nicht, ob ich das alles hätte machen können, wenn ich ein anderes Leben gewählt hätte.
17 Wie kam es, dass Sie schon sehr jung Erziehungsleitung wurden?
Das ergab sich eher unvermutet und war eine Herausforderung. Aber ich habe viele Ideen, setze gerne Dinge um und bin ganz gut im Organisieren. Wir haben viele Projekte gemacht zur Raucherprävention, ein Pferdeprojekt oder ein Kurssystem, um die Kinder fit für das Leben zu machen. Das habe ich zehn Jahre sehr gern gemacht. Anschließend fiel es mir zunächst auch schwer, nicht mehr entscheiden zu können.
18 Wieso sind Sie dann doch noch Pflegemutter geworden?
Wie gesagt, ich wollte das Schwestersein mit dem Muttersein verbinden. Daher musste ich mich im passenden Alter entscheiden.
19 Und wie reagieren Sie heute auf Entscheidungen der neuen Erziehungsleitung?
Dann wird erst mal diskutiert. Ich habe eine Idee davon, wie ich es gerne haben würde. Gleichzeitig bin ich aber nicht beratungsresistent, sondern finde es wichtig, dass jemand von außen guckt. Ich pflege das mit Supervisionen auch mit Familientherapie-Kollegen.
Mittlerweile sitzen wir nicht mehr in der Küche, sondern in Schwester Jordanas Büro. Vor dem Fenster hüllen dicke Schneeflocken das große Außengelände weiß ein. Um einen Weiher sind die Häuser der Pflegefamilien angelegt. Ein idyllisches Umfeld für pädagogische Intensivarbeit mit Kindern, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben können.
20 Wäre es für Sie perspektivisch ein Ziel, Oberin zu werden?
Tatsächlich war unsere jetzige Oberin auch lange Jahre Kinderdorfmutter. Insofern wäre so eine Wahl nicht außergewöhnlich. Doch wäre ich das ungern.
21 Wie würden Sie es beurteilen, wenn auch Bischöfe so gewählt würden?
Der Gedanke ist interessant. Die Vergabe einer Leitung auf Zeit ist ein Zeichen von Demokratie. Ich finde es schrecklich, dass es die in der Kirche so nicht gibt und dass diese Position auf Lebenszeit vergeben wird. Ich habe unter einer auf Lebenszeit gewählten Priorin gelebt. Das ist für den Umgang mit Macht nicht gut.
22 Was entgegnen Sie dem Argument, dass Bischöfe ihren Posten nicht abgeben können?
Sie können ja ohne Bischofssitz versetzt werden. Nur, dass das von Rom geregelt wird und nicht vom Kirchenvolk. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn ein Bistum seinen Bischof selbst wählen dürfte.
Text: Rainer Middelberg
Fotos: Andreas Kühlken
Ordensschwester, Mutter und Therapeutin
Schwester Jordana Schmidt (51) gehört dem Orden der Dominikanerinnen von Bethanien an. Bekannt wurde sie als eine der Sprecherinnen von „Das Wort zum Sonntag“. Sie ist gelernte Kinderkrankenschwester, Diplom-Heilpädagogin und System- und Familientherapeutin. Als Kinderdorfmutter im Bethanien Kinderdorf Schwalmtal-Waldniel ist sie Mutter von fünf Kindern. 1990 war sie zunächst in ein Zisterzienserinnenkloster in Dänemark eingetreten. Nach Erfahrungen mit klösterlichem Machtmissbrauch verließ sie den Orden und wechselte zu den Dominikanerinnen von Bethanien.