Titelthema: wachsen

Die Gegenwart Gottes spüren

Er ist Kirchenmanager und leitet einen riesigen Pastoralverbund in Ostwestfalen. Das hindert Pfarrer Markus Jacobs aber nicht in seinem kontemplativ geprägten Leben. Er wirbt für kontemplative Angebote in Gemeinde und Schule

„Ich grüße Sie herzlich. Schön, dass Sie da sind.“ Die Augen leuchten. Ein offenes, lächelndes Gesicht. Normalerweise würde jetzt der für ihn typische kräftige Handschlag folgen. Nur geht das derzeit nicht. Pfarrer Markus Jacobs interessiert sich für sein Gegenüber. „Ich kann keine Seelsorge vollziehen, bei der nicht die einzelne Person wichtig ist. Es wäre für mich schmerzhaft, wenn ich erst später bemerken würde, dass mein Gesprächspartner mit etwas anderem innerlich kämpft.“ Markus Jacobs ist aktuell leitender Pfarrer des Pastoralverbundes Lippe-Detmold, einem geschätzt 400 Quadratkilometer großen Diaspora-Gebiet mit acht Gemeinden und noch mehr Kirchorten. Als solcher ist er Kirchenmanager, aber einer, der eine tiefe und anregende Spiritualität lebt.

Die kleine Wohnung mit einem Wohn-Essbereich von vielleicht 15 Quadratmetern liegt im ersten Stock des Pfarrhauses. Jacobs hält eine Tasse Kaffee in Händen – ein älteres Taizé-Geschirr. Schon als Jugendlicher hätten ihn die Gebete und Gesänge mit ihren wiederholenden Texten und Melodien angesprochen. „Das ist für mich eine von verschiedenen Gebetsformen, mit denen ich kontemplatives Leben pflege.“

Da ist es, ein Herzensthema von Markus Jacobs: Kontemplation. „Ende des Studiums dachte ich: Wie begrenzt sind all meine Worte über Gott, als dass ich verantwortungsvoll über ihn sprechen kann?“, sagt er. Auch eine Reise an die heiligen Orte Israels füllte diese Lücke nicht. In Indien suchte er christlich inspirierte Ashrams auf. Fündig wurde er bei Jesuitenpater Franz Jalics und dessen Exerzitien im Geiste von Ignatius von Loyola. Dabei wird in Stille – verbunden mit dem Rhythmus des Atems – innerlich beständig der Name Jesus Christus angerufen.

„Ich kann nur den Raum geben und mich für Gott öffnen“

„Um Kontemplation zu beschreiben, hilft mir das lateinische Wort ‚contemplari‘, denn das steht im Passiv: Ich schaue. Aber ich tue das nicht selber. Ich kann nur den Raum geben und mich für Gott öffnen, dass etwas geschehen möge. Das ist das alte Wort der Gottesschau.“ Die Schöpfung sei eine große Lehrmeisterin des Gebetes: „Der Wind, das Licht; ich kann sie nicht beeinflussen, aber ich kann sie wahrnehmen“, erklärt er. In seinen Gemeinden ist Jacobs bekannt für seine vogelkundlichen Spaziergänge. „Oft bin ich um 5 Uhr wach und verbringe viel Zeit damit, Vogelstimmen zu identifizieren. Das bedeutet, unendlich viel zu hören. Das ist für mich eine Art innerer Öffnung, Wachheit und Glück.“

Markus Jacobs wirkt körperlich fit, verfügt über eine gerade Körperhaltung und gestikuliert viel. „Gebet beginnt nicht erst, wenn ich anfange zu denken, was richtiges Beten wäre. Wir sprechen in der Theologie davon, dass Gott Fleisch angenommen hat. Wenn wir unseren Leib wahrnehmen, ist das eine erste Gotteserfahrung.“ Vor allem durch das Spüren der Atmung gelinge es, in die Gegenwart zu kommen. „In keinem Gebet erlebe ich Erlösendes im Jetzt so stark wie in der Kontemplation. Oft lösen sich seelische Konflikte und körperliche Gebrechen, wenn sich Menschen Gott ganz öffnen.“

Wenige Worte genügen und Jacobs stellt theologische, psychologische oder andere Bezüge her. Ein belesener und intelligenter Mann: 1961 in Köln geboren, ab 1979 Studium der Fächer Theologie, Philosophie, Psychologie, Pädagogik in Paderborn, Rom und Tübingen, 1986 Priesterweihe, 1992 Promotion zum Dr. phil. in Bonn, 1995 Promotion zum Dr. theol. am Lehrstuhl von Prof. Paul Zulehner in Wien. In Wissenschaft oder Kirche hätte er Karriere machen können – hat er aber nicht. „Ich habe mich für die normale Seelsorge entschieden. Ich möchte die Praxis nicht nur reflektieren, sondern selber gestalten.“ Und die Einzelseelsorge betreiben. „Das hat mit einer Vorentscheidung zu tun: Verwaltung hat kein Vorrecht, alles zu verdrängen. Ich bin sicher, dass ich auch als leitender Pfarrer geistlich sein kann.“ Dafür gebe es im Bistum Paderborn in allen größeren pastoralen Einheiten Verwaltungsleiter. Dass das dennoch nicht immer einfach ist, lässt sein Nachsatz erahnen: „Man muss nur eine gewisse Spannung aushalten.“

Kontemplation kein exklusives Angebot von Klöstern und Bildungshäusern

Sofort ist Jacobs wieder beim Thema: „Es geht um eine Haltung. Jene, die sich dafür entscheiden so zu beten, widmen dem oft eine halbe oder ganze Stunde am Tag. Auch ich investiere viel Zeit in das kontemplative Gebet. Als Priester habe ich das große Privileg, dass ich das, was mir privat wichtig ist, mit anderen tun kann.“ Gleichzeitig betont Jacobs die große Nähe anderer Gebetsformen zur Kontemplation: „Bei der eucharistischen Anbetung geht es vielfach darum, sich schweigend in die Gegenwart Gottes zu geben. Ähnlich begebe ich mich beim wiederholenden Gebet im Rosenkranz in den Fluss der Worte.“

Markus Jacobs sieht das kontemplative Gebet nicht als exklusives Angebot von Klöstern und Bildungshäusern. „Wir haben mit kontemplative Gebetszeiten, Exerzitien im Alltag, Tage der Spiritualität und andere Angebote in die Alltagsseelsorge aufgenommen“, betont er. Er wirbt dafür, auf jüngere Menschen zuzugehen. „Viele Menschen sagen mir, dass sie durch ein Stichwort oder einen Satz angesprochen worden sind. Sie haben den Eindruck: ‚Das suche ich schon lange.‘“ Die grundlegende Sehnsucht sei also schon vorher da. „Ich glaube, dass wir jüngeren Menschen mehr zutrauen dürfen.“ Auch in Schulen könne er sich kontemplative Angebote vorstellen. „Wenn es dort Menschen gäbe, die Kontemplation als Teil ihres Lebens pflegen, könnten sie das auch einmal in der Woche als Gebetszeit anbieten.“

Nun soll nicht der Eindruck entstehen, Markus Jacobs sei weltabgewandt. Seelsorge ist für ihn auch handfestes karitatives Tun. In der Mittagszeit steht die Essensausgabe für Bedürftige an. Später folgen eine Beerdigung, ein Gespräch mit dem Verwaltungsleiter und anderes. Dennoch: Spiritualität soll nicht verloren gehen.

„In unserer westlichen Kirche kennen wir es kaum, beten zu lehren und zu lernen“, stellt er fest. Die häufigste Gebetsform sei das Bitten. „Es gibt Menschen, die diese Stufe nicht überschreiten, weil ihnen niemand dabei hilft. Wenn sie etwas erbitten, Gott das aber nicht tut, kommt es zu Problemen – bis zum Abbruch der Gottesbeziehung, weil das Beten ja scheinbar nichts bringt.“ Und wenn es in der Liturgie heiße „Wir loben dich, wir preisen dich, wir beten dich an“, hätten viele dazu keinen Zugang. „Der innere Wunsch zu loben ist gar nicht da. Dorthin muss man erst nach und nach kommen.“ Hier helfe der Begriff des Wachsens. In jedem Samenkorn, seien schon alle Möglichkeiten für eine Entwicklung da. „Auch in mir ist schon alles für meine Gottesbeziehung grundgelegt. Aber ich muss Bedingungen schaffen, die die Entwicklung leichter machen. Wenn ich dem Ganzen keinen Platz gebe, kommt eine Anlage in mir nicht zur Entfaltung“, beschreibt Jacobs. Natürlich sei das nicht bei jedem gleich. Einige Menschen seien stärker ansprechbar. Anderen sei vielleicht alles, was wir über Gott sagen, zu begrenzt.

Markus Jacobs zieht noch einen anderen Vergleich: „Wenn wir in der Liebe voranschreiten, sagen wir jemand anderem, dass es schön ist, dass er da ist – einfach nur um seiner selbst willen. Das ist in der Beziehung mit Gott genauso. In der Kontemplation möchten wir einfach die Gegenwart Gottes spüren.“ Wie aber fühlt sich diese Gegenwart Gottes an? „Wenn es wahr wird, dann denkt man nicht darüber nach, was passiert. Das ist ein Glücklich-in-der-Gegenwart-Sein.“

Text: Rainer Middelberg
Fotos: Marius Jacoby

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