
Nachgedacht
Gottes Bund mit Noah
Und Gott sagte zu Noah und seinen Söhnen mit ihm: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit euren Nachkommen und mit allem lebendigen Getier bei euch, an Vögeln, an Vieh und an allen Tieren auf Erden bei euch, von allem, was aus der Arche gegangen ist, was für Tiere es sind auf Erden. Und ich richte meinen Bund so mit euch auf, dass hinfort nicht mehr alles Fleisch ausgerottet werden soll durch die Wasser der Sintflut und hinfort keine Sintflut mehr kommen soll, die die Erde verderbe.
Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden. Gen. 9,8-17
Gott lernt dazu?
Der Regenbogen in neuem Licht
Was für eine schöne Geschichte – beliebt bei Taufen und Kinderkatechesen; und in der Tat – der Regenbogen ist ein starkes Bild. Er fasziniert uns von klein auf. „Schau, siehst Du diesen wunderschönen Regenbogen?“ – wer ruft das nicht, wenn er ihn entdeckt. Für die Sintfluterzählung der Bibel ist er das Zeichen des Bundes Gottes mit den Menschen. Nie wieder wird Gott der Erde eine solche Katastrophe antun! Gott sei Dank! Gleichzeitig bleibt aber für die einen die Frage, ob man sich wohl auf dieses „nie wieder“ verlassen kann und andere sind bleibend irritiert: Warum soll Gott überhaupt jemals so etwas getan haben?
Das Bild eines Gottes, der die Menschheit bestraft, erfreut sich bis heute einer überraschenden Beliebtheit. Wie soll man sich auch all die Seuchen der Geschichte und aktuell das Wüten der Coronapandemie erklären? Vielleicht ist der liebe Gott nicht nur lieb und schlägt doch mal dazwischen?
Der Churer Weihbischof Eleganti hat sich Anfang März zum Sprachrohr einer solchen Sichtweise gemacht und behauptet, es gäbe doch einen unbestreitbaren Zusammenhang zwischen dem Glauben einer Gesellschaft und ihrer Betroffenheit von Krieg, Seuchen und anderen Katastrophen. Na, endlich sagt‘s einer. Der liebe Gott räumt in diesen ungläubigen Tagen mal auf! Aber – stand nicht am Ende der Sintfluterzählung, dass er das nie wieder tun wollte?
Die biblischen Texte der Genesis scheinen verwirrend und widersprüchlich. In Gen 6,5f heißt es am Beginn der Sintfluterzählung: „Der HERR sah, dass auf der Erde die Bosheit des Menschen zunahm und dass alles Sinnen und Trachten seines Herzens immer nur böse war. Da reute es den HERRN, auf der Erde den Menschen gemacht zu haben …“
Wenige Kapitel zuvor kann man nach der Erschaffung des Menschen am sechsten Tag noch lesen: „Alles war sehr gut“! Dann kam leider der Sündenfall dazwischen; Paradies adé, aber immerhin: Selbst Kain, der Mörder seines Bruders Abel, wird von Gott mit einem Mal gezeichnet und so vor dem Erschlagen geschützt. Nur zwei Kapitel weiter folgt die Sintfluterzählung mit der irritierenden Begründung: „Alles Sinnen und Trachten des Menschen war immer nur böse.“ Jetzt war wohl nichts mehr „sehr gut“ und doch steht am Ende der Regenbogen, der verspricht, dass Gott nie wieder eine Sintflut schickt. Da kommt man schon mal ins Grübeln und selbst Menschen wie Herrn Eleganti könnte etwas schwindelig werden! Was denn nun?
Ist Gott so wankelmütig? Kennt er den Menschen, den er doch selbst geschaffen hat, so schlecht? Am Beginn der Erzählung identifiziert der Text das böse Trachten des menschlichen Herzens als Grund für die Sintflut. Dann scheint es, als würde eine Erkenntnis in Gott reifen: Im Menschen gibt es eine so unveränderliche Tendenz zum Bösen, dass er ihn und mit ihm das Leben auf der Erde – genau aus diesem Grund – künftig nicht mehr einfach vernichten kann.
Das klingt wie ein Lernprozess Gottes im Angesicht der Bosheit des Menschen. Bestrafen und Vernichten sind nicht mehr seine Handlungsmaximen. Stattdessen lernt er, den Menschen und seine Möglichkeiten realistischer zu sehen und ihm, wie nach einer Ent-täuschung, im Rahmen seiner Grenzen gerecht zu werden. Es geht offensichtlich um diesen Veränderungsprozess Gottes selbst. Veränderungsprozesse sind fragil und brauchen manchmal ein Memo. Also stellt Gott, dieser Logik folgend, den Regenbogen in die Wolken, um sich an diesen neuen Bund zu erinnern, nicht die Menschen – als hätte er Sorge, dass ihn wieder sein altes Verhaltensmuster einholen könnte. Er will sich selbst für diesen Fall erinnern! Ergo: Die entscheidende Veränderung in der Sintfluterzählung geschieht nicht im Menschen, sie vollzieht sich in Gott selbst!
Aber, was ist das für ein Gott? In jeder Hinsicht ambivalent, mal fürsorglich liebevoll, mal strafend und voller Rache, mal enttäuscht, mal lernend. Ist es nicht offensichtlich? Was hier beschrieben wird sind doch wir Menschen viel mehr als Gott! Lässt man diesen Gedanken zu, dann ergibt sich nicht nur bei der Lektüre der Sintfluterzählung ein anderer Zugang. Was ist dann aber mit Gott in den biblischen Texten?
Wenn, um ein Bild zu gebrauchen, Gott das Licht ist und unser Verstand, unser Gemüt, unsere Seele und unser Herz wie Kirchenfenster sind, die dieses Licht in bunte Farben auffächern, dann sind die biblischen Texte inspirierte, das göttliche Licht brechende und reflektierende Erfahrungen von Menschen mit seinem Licht, gefasst in die Worte ihrer Zeit. Wenn wir also in den Texten einen Entwicklungs- und Lernweg Gottes entdecken, müssten wir genauer sagen: Nicht Gott lernt, wächst und reift – Menschen tun es, wir tun es und die Texte spiegeln unsere Erkenntnis- und Wachstumswege. Deswegen ist die Erzählung der Sintflut eine Einladung, uns selbst realistisch und achtsam wahrzunehmen – mit unserer Fähigkeit zu lernen wie mit unseren Ambivalenzen, Rachewünschen und Allmachtsphantasien. Gottes Licht leuchtet in unseren Lernerfahrungen. Er ist in ihnen präsent und seine Liebe, seine Weisheit erschließen sich in unseren Erfahrungen. Sie sind spürbar und entziehen sich doch, weil sich uns das Geheimnis Gottes, so lange wir als Menschen auf dieser Erde leben, nie vollständig offenbaren wird.
Nie wieder eine Sintflut! Das ist eine göttlich inspirierte Erkenntnis des menschlichen Herzens, das sich von Rache und überzogener Strafe verabschiedet und die ganze Schöpfung in seine Sorge um das Leben miteinschließt. In wessen Herz diese Erkenntnis Einzug gehalten hat, kann heute vielleicht denen widerstehen, die nach dem Motto leben: Nach uns die Sintflut!
Ein Rabbiner namens Samson Raphael Hirsch aus dem 19. Jahrhundert interpretiert den Regenbogen der Sintfluterzählung in der Tradition des jüdischen Gelehrten Rabbi Nachmanides (1194–1270) als das Zeichen eines umgekehrten Geschosses, „ein mit der Sehne zur Erde gekehrter Bogen, somit ein Zeichen des Friedens: kein Pfeil mehr vom Himmel.“
Was für eine wunderschöne Auslegung! Wie in dieser Interpretation spürbar, geht es darum, das Licht in den Worten und Bildern der Bibel zu entdecken. Worte und Bilder bleiben immer ambivalent, weil wir Menschen es sind. Aber in ihnen leuchtet etwas, das entdeckt werden will. Immer wenn wir es entdecken, können wir uns unter den Regenbogen stellen – mit allen Menschen und der ganzen Schöpfung – und in Sonne und Licht, Wolken und Regen unseres Lebens kann eine Atmosphäre entstehen, die wachsen lässt: uns selbst, unsere Verbundenheit mit der Schöpfung, unsere Erkenntnis und unsere Offenheit für das Geheimnis des Göttlichen in unsrer Menschlichkeit: Immer wieder anders, neu und überraschend.
Text: Michael Hasenauer
Michael Hasenauer leitet als Hochschulseelsorger Katholische Hochschulgemeinde Lüneburg. Er ist geistlicher Begleiter und Berater.
Illustration: Patrick Schoden