Meine Zeit

Tiefes Gottvertrauen trotz bitterer Armut

Ein Freiwilliges Soziales Jahr im Ausland sollte es sein. Für die 19 Jahre alte Rebecca Hofschröer wurde es auch eine Konfrontation mit existenziellen Situationen. Und mit unerwarteten Glaubenserfahrungen 

Gut ein viertel Jahr nach meinem Abitur brach ich im September 2019 von Bad Bentheim aus in das kleine Dorf Lwala in Uganda auf. Organisiert von der Abteilung Freiwillige Dienste im Ausland des Bistums Osnabrück wollte ich dort ein soziales Jahr leisten. Das hatte ich schon länger vor. Durch einige glückliche Zufälle durfte ich sogar in einem Krankenhaus arbeiten. Denn schon seit Jahren interessiere ich mich für Medizin.

Zusammen mit zwei Priestern, einigen Köchinnen sowie wechselnden Priestern in Ausbildung wohnte ich im dortigen Gemeindehaus. Der Ort besteht aus einigen verteilt in der Landschaft angeordneten Gebäuden. Je eine Primary School für Jungen und Mädchen, eine Secondary School, die katholische Kirche und das Krankenhaus bilden so etwas wie die Struktur des Dorfes nördlich des Kyogasees. Die Menschen der Region bauen Mangos, Kartoffeln, Mais und weitere Früchte an, die sie auf dem Markt im Nachbarort verkaufen. Kaum jemand hat Strom im Haus. Wasser wird mit Kanistern von zwei Pumpstationen geholt, gekocht wird über offenem Feuer. Nur wenige Quadratmeter große, mit Stroh abgedeckte Lehmhütten dienen zum Schlafen, das Leben findet unter freiem Himmel statt. Uganda ist eines der ärmsten Länder der Welt. Haupttodesursachen sind Malaria und HIV.

Gearbeitet habe ich vor allem im Krankenhaus, dem einzigen im Umkreis von 100 Kilometern. Ich war die erste Freiwilligendienstlerin des Bistums Osnabrück hier und durfte mir meine Aufgaben relativ frei aussuchen. Drei Ärzte sind in dem Krankenhaus tätig. Dieses erstreckt sich auf einem weitläufigen Gelände über mehrere einfache Gebäude, darunter ein eigenes für Tuberkulosekranke. Während meiner Krankenhauspraktika zuvor hatte ich zu Beginn vor allem mitlaufen, zuschauen und gelegentlich assistieren dürfen. In Lwala dagegen war ich wesentlich schneller eigenständig eingebunden: So war ich mit Pflegekräften unterwegs, um etwa in umliegenden Dörfern über Impfungen, Hygiene und Verhütung zu informieren. Meistens aber arbeitete ich auf der Entbindungsstation. Im Kreißsaal, abgetrennt nur durch Stellwände, kann es sein, dass bis zu vier Frauen gleichzeitig in den Wehen liegen. Und genau hier erlebte ich, wie Leben und Tod Tag für Tag aufeinanderprallen. Uganda ist sehr kinderreich und fast die Hälfte der Bevölkerung ist unter 14 Jahre alt. Auch ohne medizinische Ausbildung durfte ich bald bei Entbindungen assistieren, Infusionen setzen und mehr. Wichtig dabei: Ich machte nur das, was ich mir nach entsprechender Einweisung auch zugetraut habe.

Zur Entbindung mit eigener Rasierklinge

Der Krankenhausaufenthalt ist nicht mit dem in Deutschland zu vergleichen. Wer in die Klinik fährt, muss einen Angehörigen mitbringen. Denn der ist für die Körperpflege des Patienten zuständig, für das Kochen und das Waschen der Kleidung. Muss also eine hochschwangere Frau zur Entbindung in die Klinik, so kommt sie oft mit einem Motorradtaxi: vorn der Taxifahrer, dahinter der begleitende Angehörige und schließlich die Schwangere, die seitlich im Damensitz mitfährt. Dazu noch eine Tasche mit Kleidung sowie Töpfe plus Kochgeschirr. Schwangere müssen sogar noch eines mehr mitbringen: zum Beispiel eine Rasierklinge zum Durchtrennen der Nabelschnur. Doch unzureichende Ernährung und Gesundheitsversorgung fordern ihren Tribut. Fast 90 von 1.000 Geburten enden mit einer Tot- oder Fehlgeburt. Auch hierbei habe ich diese Frauen begleitet. Weil Hebamme und Arzt anderweitig unabkömmlich waren, in seltenen Momenten auch allein. Für mich waren das zum Teil Grenzerfahrungen.

Viele Frauen erleiden dieses Schicksal. Erstaunlich für mich dabei war, dass auch so ein Verlust nicht zu tiefer Verzweiflung bei den Müttern führte. Sie reagierten zwar nicht mit Desinteresse, aber doch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit, als wollten sie sagen: „Auch das kann passieren.“ All das führt hier nicht zu Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit. Vielmehr prägen Lebensfreude und Gottvertrauen das Leben der Menschen in Lwala. Viele sind zutiefst christlich geprägt. Mit norddeutscher Trockenheit hat das Glaubensleben dabei nicht viel gemein. Ein Gebet vor jeder Mahlzeit, die Segensbitte für die Reise, das häufige Rosenkranzgebet und das gemeinschaftliche Gebet für Kranke gehören zum Alltag. Sonntagmorgens, im besten Kleid, feiern alle miteinander mindestens zweieinhalb Stunden lang laut und bunt Gottesdienst. Ja, der Glaube wird gefeiert: Applaus zur Wandlung und Jubelschreie während des Gesangs sind ganz normal.

Normal sind aber auch Teufelsaustreibungen. So etwas hatte ich mir nicht vorstellen können. Zum Beispiel saßen wir einmal beim Frühstück, als die Schulleiterin der Secondary School einen Priester rief: eine Schülerin sei besessen. Der Priester, ein Helfer der Gemeinde und ich liefen zur Schule. Zu dritt, so die Gewissheit des Priesters, würde der Teufel nicht auf einen allein überspringen können. Eine Dreizehnjährige rannte wie von Sinnen laut schreiend über den Schulhof. In Uganda ist es üblich, in solchen Situationen die Person mit heiligen Gegenständen wie Rosenkränzen oder Weihwasser zu berühren, um das Böse in ihnen zu verjagen. Wie so etwas zu erklären ist? Ich weiß es nicht. In jedem Fall glauben die Menschen hier an die Möglichkeit, vom Teufel besessen zu sein, und unterscheiden das sehr genau von psychischen Krankheiten. So hat auch der Teufel seinen Platz im Leben.

Genauso wie der Tod, der hier weniger Schrecken verbreitet. Es steht gar nicht infrage, ob man sich eines Tages wiedersehen wird. Nein, ein riesiges Gottvertrauen lässt den Tod zu einem ganz selbstverständlichen Teil des Lebens werden. So kommt es, dass zum Beispiel eine Beerdigung nicht primär von Traurigkeit geprägt ist. Dann ziehen zum Teil Tausende Menschen singend und tanzend durch den Ort. Und auf dem Titel des Liederzettels steht: „We celebrate the life of …“. Für uns mag vieles aus dieser fernen Kultur und diesem Glaubensleben befremdlich wirken, es ist aber zutiefst glaubwürdig. Diese Grundhaltung und die zweifelsfreie Hoffnung der Menschen hat mich zutiefst berührt.

Text: Rebecca Hofschröer
Fotos: Rebecca Hofschröer und Jürgen Escher/Cap Anamur

 

Unterstützt von Cap Anamur
Das Krankenhaus Lwala wurde ab 2014 durch Unterstützung der Hilfsorganisation Cap Anamur instandgesetzt mit Strom- und Wasserversorgung sowie medizinischem Equipment. Das Personal wurde fortgebildet. Ziel war es, die eigenständige Arbeit des Krankenhauses sicherzustellen. Mehr Infos: www.cap-anamur.org 

Internationale Freiwilligendienste
Die Vermittlung internationaler Freiwilligendienste der katholischen Kirche läuft zumeist an zentralen Stellen in einem Bistum. Stellen gibt es in vielen Ländern und ganz unterschiedlichen Einsatzgebieten. Mehr Infos: www.alltagshelden.de (Bistum Osnabrück), www.bistum-hildesheim.de (Stichwort Internationale Freiwilligendienste) und www.invia-berlin.de (Erzbistum Berlin)

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