Fragestunde
"Es geht um Empowerment"
Die Entscheidungsmacht der Frauen in der katholischen Kirche wächst. Langsam, aber stetig. In der Fragestunde wollen wir von Theologieprofessorin Dr. Agnes Wuckelt erfahren, wie die Entscheidungskraft von Frauen gestärkt werden kann und wo das alles hinführt
Das mächtigste Amt für einen Mann in der katholischen Kirche ist ohne Zweifel das des Papstes. Welches ist das höchste für Frauen in der katholischen Kirche?
Das Amt der Äbtissin in einer Ordensgemeinschaft, würde ich sagen. Sie ist keinem Bischof unterstellt und darf souverän über die Belange ihres Ordens entscheiden.
Manche sagen, das Amt der Pfarrhaushälterin sei mächtiger, weil sie entscheiden kann, ob Hochwürden Nachtisch bekommt. Können Sie über Scherze wie diesen noch lachen?
Auf den ersten Blick ist es natürlich zum Lachen, wenn ich mir vorstelle, wie der Pfarrer um Pudding bettelt. Da fällt mir auch eine Karikatur ein, auf der eine Frau in der Kirche den Boden schrubbt und der Pfarrer andächtig dahintersteht und denkt: „Gleichberechtigung in dieser Kirche haben wir wohl erreicht.“ Man sollte den Humor nicht verlieren, auch wenn das Thema ernst ist.
Seit Jahrzehnten kämpfen Sie für wahre Gleichberechtigung. Wie erklären Sie jungen Frauen heute, warum sich in diesem Punkt so wenig bewegt?
Ich kann natürlich sachlich darlegen, dass die kirchliche Lehre eine ganz bestimmte Geschlechter-Anthropologie vertritt, nach der einer Frau zwar die gleiche Würde wie einem Mann zukommt, aber nicht die gleichen Rechte. Aber dann erzähle ich auch von mir persönlich, wie ich meine Karriere gestaltet habe, die mich in die Leitung einer kirchlichen Hochschule geführt hat. Das sollte Mut machen und zeigen, dass sich etwas bewegt.
Wo zeigt sich das sonst noch?
In der Weltkirche. Ich stehe in Kontakt zu mutigen gläubigen Frauen in aller Welt. Mittlerweile sind Frauen ja auch in verantwortlichen Positionen im Vatikan angekommen, zum Beispiel in den Dikasterien, also den wichtigsten Verwaltungsämtern der römischen Kurie. Meine Devise lautet „Empowerment!“, also die Selbstermächtigung der Frauen.
Wie funktioniert das in einer von Männern dominierten Kirche?
Da denke ich häufig drüber nach. Bei mir persönlich liegt wohl viel daran, dass ich als kleine und zierliche Frau eher den Beschützerinstinkt von Männern wecke. Das ist wie in einem Spiel: Ich signalisiere meinem Gegenüber, dass er mich beschützen darf – und schon hat er keine Angst mehr. Aus dieser Position heraus setze ich dann Fakten, formuliere Argumente und versuche, meine Kritik und den Wunsch nach Veränderung um so deutlicher zu vertreten.
Was passiert, wenn aus dem Spiel dann Ernst wird?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe durchaus erlebt, dass einige Bischöfe, denen ich in diesem Zusammenhang begegnet bin, reflexartig Angst bekommen haben. Sie dachten, ich sei ganz harmlos und jetzt kommt da so eine Frau, die in ihren Augen geradezu wie eine Häretikerin den Kirchenfrieden stört. Die muss natürlich bekämpft werden. Aber ich habe immer mehr Geistliche erlebt, die nachdenklich werden und mich einzeln kontaktieren, um sich mit mir auszutauschen.
Haben Sie in Ihrem Leben jemals das Amt einer geweihten Frau in der katholischen Kirche angestrebt?
Ja, aber auf keinen Fall in den bestehenden klerikalen Strukturen. Wenn ich zum Beispiel bei Fortbildungen oder Exerzitien Lehrkräfte über eine ganze Woche geistig und geistlich begleite, mit ihnen persönlich und spirituell intensive Erfahrungen teile und dann für die Eucharistiefeier zum Abschluss einen Priester rufen muss, weil wir ohne ihn nach dem Kirchenrecht als liturgische Gemeinschaft angeblich nicht vollwertig sind. Das schmerzt so sehr, dass mir manchmal die Tränen kommen.

Was wäre die Alternative?
Ich könnte mir gut vorstellen, dass es in nicht allzu ferner Zukunft Priesterinnen und Priester mit Zivilberuf gibt, die punktuell und dort, wo es seelsorglich angezeigt ist, sakramental wirken dürfen.
Führt das bei Klerikern nicht zur Angst vor einem Dammbruch in Richtung Kontrollverlust und Willkür?
Das kommt darauf an, was für ein Typ Mann der jeweilige Priester ist. Für den einen Typ würde eine Welt zusammenstürzen, weil seine ganze Frömmigkeit und Identität auf dem bestehenden Rollenbild aufbaut. Es gibt aber auch den Typus Priester, dem jetzt aufgeht, wie amputiert unsere Kirche ohne Frauen in Weiheämtern ist und der durchaus Bereitschaft zeigt, Beruf und Berufung in der Kirche neu zu denken. Das erleben meine Mitstreiterinnen und ich in vielen persönlichen Gesprächen.
Persönlich. Aber offiziell hört man wenig davon. Warum?
Die Haltung von Papst Franziskus ist eindeutig. Er wertschätzt die Leistung von Frauen in der Weitergabe des Glaubens und der kirchlichen Tradition in vielfacher Hinsicht. Aber vor dem Priesteramt warnt er sie mit dem Argument, man müsse die Frau vor dem Klerikalismus schützen. Meines Erachtens liegt darin ein entscheidender Denkfehler: Klerikalismus und Priestertum sind nicht das Gleiche. Es geht darum, Christus zu repräsentieren. Dazu muss ich nicht ein Mann sein. Jesus hat in seiner Zeit explizit mit Konventionen und Normen gebrochen. Warum sollte das heute nicht möglich sein?
Werden Sie persönlich wohl noch erleben, dass eine katholische Priesterin geweiht wird?
Angesichts des schweren Tankers, den unsere weltumspannende Kirche darstellt, wohl eher nicht. Aber der Druck wird größer. Ich fände es ohnehin nicht so toll, wenn der Priestermangel das Einfallstor für mehr Mitsprache- und Entscheidungsrechte für Frauen wäre, zumal sich die Situation weltweit sehr unterschiedlich darstellt. Es geht aber sehr wohl darum, klerikalen Machtmissbrauch – ob sexuell, spirituell oder strukturell – zu bekämpfen und die Rolle der Frau in der katholischen Kirche neu zu definieren. Mit der Definition der Frau wahlweise als ewige Sünderin oder als Himmelskönigin kommen wir nicht weiter. Wir sind Menschen vor Gott – unabhängig von unserem Geschlecht. Das muss sich auch in der kirchlichen Wirklichkeit widerspiegeln.
Zum Schluss: Was sagen Sie zum Nein der Glaubenskongregation zu Segnungen homosexueller Partnerschaften?
Ich gehöre zu den 200 Professorinnen und Professoren, die die aktuelle Münsteraner Erklärung unterzeichnet haben, die klar Stellung gegen das Segnungsverbot bezieht. Das „Nein“ zum Segen für homosexuelle Paare zeigt mangelnde theologische Tiefe. Denn Menschen – egal wie sie sich selbst geschlechtlich einordnen – per se als sündhaft oder falsch einzuordnen, ist theologisch nicht haltbar und ganz klar gegen die Haltung gerichtet, die Jesus von Nazaret uns vermittelt. Es ist doch ganz offensichtlich: Selbst der Segen in der Liturgie ist universal an die Gottesdienstgemeinde gerichtet und beschränkt sich nicht auf irgendwelche wertenden geschlechtlichen Zuordnungen. Im Forum 3 des Synodalen Weges haben wir ganz klar formuliert, dass der Zugang von Menschen jeden Geschlechtes zu allen Ämtern der Kirche angestrebt werden soll. Dieser Beschluss wurde übrigens mit einer Mehrheit von 96 Prozent gefasst.
Interview: Peter Beutgen
Fotos: Andreas Kühlken
„Irgendwann wird der erste Bischof seinen Hut nehmen und gehen."
„Irgendwann wird der erste Bischof seinen Hut nehmen und gehen.“ Gefragt nach Konsequenzen aus den Fällen sexualisierter Gewalt durch Kleriker nahm Agnes Wuckelt im November 2020 in einem SWR-Interview die Ereignisse aus dem März 2021 schon fast vorweg.
Agnes Wuckelt, geboren 1949 in Hannover und aufgewachsen in Bayern, studierte Religionspädagogik und Diplom-Theologie in München und Bamberg und promovierte in Theologie an der Universität Bamberg. Sie war Religionslehrerin, Seminarrektorin und Schulrätin im Kirchendienst in Bamberg. Von 1986 bis 2015 war sie Professorin für Religionspädagogik an der Katholischen Hochschule in Paderborn, davon gut zehn Jahre als Dekanin.