entscheiden
Unterscheidung der Geister in der ignatianischen Spiritualität
„Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht immer noch geschwinder als der, der ziellos umherirrt“, wusste Gotthold Ephraim Lessing. Wie es Zeit braucht, auf ein Ziel zuzugehen, braucht es Zeit, gute Entscheidungen zu treffen
Der Heißsporn Ignatius von Loyola (1491–1556) hat so seine eigenen Erfahrungen gemacht mit Schnellschüssen. Und dass es manchmal besser ist, sich von einem Maultier in die richtige Richtung tragen zu lassen, als verbissen den eigenen fixen Ideen nachzujagen. „Unterscheidung der Geister“ nennt er die in seinem Exerzitienbuch zusammengetragenen Regeln, die helfen, Orientierung in einer Unzahl von Möglichkeiten zu finden. Gute Geister sind für Ignatius Regungen, die vom guten Geist Gottes kommen und die auf ein Mehr an Leben zielen. Böse Geister hingegen sind dem Menschen feindlich gesinnt und führen auf Abwege, oftmals ohne dass es zunächst danach aussieht.
Ob jemand mehrere Optionen zur Wahl hat und eine Entscheidung fällen muss oder ob jemand überhaupt noch keine Ahnung hat, wo das eigene Ziel liegen könnte – innere Regungen und äußere (ausgesprochene oder unausgesprochene) Erwartungen gibt es immer. Sich dieser mociones, wie Ignatius sie nennt, bewusst zu werden, ist ein erster wichtiger Schritt. Was regt sich da an Emotionen, an Gefühlen und Gedanken? Welche – vielleicht sogar widersprüchlichen – Empfindungen und Stimmungen sind im Spiel? Ist die aufwallende Begeisterung nur ein Strohfeuer oder hält sie an? Baut sich Druck auf oder gewinnt die Situation durch bestimmte Perspektiven Weite? Wer wahrnimmt, was im Innern da ist (mag es auch noch so chaotisch erscheinen) und es zulässt, bekommt auf die Dauer ein Gespür dafür, welche Regungen vom guten Geist geleitet zu einem erstrebenswerten Ziel führen und welche der „Feind der menschlichen Natur“ einflüstert, um den Menschen von seiner eigentlichen Bestimmung abzubringen.
Vom guten Geist in die Spur gebracht
Christinnen und Christen gehen davon aus, dass Gott für die Menschen und alle Welt „Leben in Fülle“ will. Als die, die nach Gottes Willen fragen und darum beten, dass sein Wille geschehe, richten sie ihre Entscheidungen im Großen und im Kleinen daran aus. Das setzt die Entschiedenheit, sich nicht auf dem Leben abgewandte Pfade begeben zu wollen, bereits voraus. Wenn Christinnen und Christen spüren, dass ihre inneren Regungen zu einem Vorhaben sie freier und getroster, mutiger und ruhiger machen, und sich im Klärungsprozess abzeichnet, dass die Entscheidung auf Dauer und im Ganzen Verbesserung (im Sinne von: mehr Liebe, mehr Hoffnung, mehr Glaube) bewirkt, dann können sie die Stimmigkeit deuten als vom guten Geist in die Spur gebracht. Gottes Geist selbst ist es, der die Unterscheidung lehrt – in einer Schule der Ehrlichkeit mit sich selbst und des Gesprächs mit Gott und den Menschen.
Abends eine Viertelstunde in der Stille zu sein und mit Gott auf den Tag zurückzuschauen, ihm die Geschehnisse hinzuhalten und die eigenen Eindrücke mit den seinen abzugleichen – das heißt zu versuchen, sie in Gottes Licht zu sehen und mit ihm darüber zu sprechen –, ist ein Anfang. Zur guten Gewohnheit geworden, wächst so das Vertrauen, auch in brenzligen Entscheidungssituationen nicht von allen guten Geistern verlassen zu sein.
Text: Susanne Wübker