auffangen

Anpacken nach der Flut

Der Zufall führte sieben Helfer zu einem durch das Juli-Hochwasser total zerstörten Winzerhof in Ahrweiler. Der Beginn einer Aktion, die helfen soll, den Betrieb wieder aufzubauen – mit Engagement und Emotionen

Wieder blockierten Schlamm und Geröll die Weiterfahrt. Die sieben Männer stiegen aus. Sie traten durch das offene Tor eines Winzerhofes auf der Linken. Im Innenhof saß eine Familie auf Kisten. Über einem Gasbrenner kochte das Kaffeewasser. „Können wir helfen?“ Die einfache Frage genügte. „Der Vater der Familie kam auf uns zu und fing einfach nur an zu heulen. Schon wenn ich davon erzähle, bekomme ich Gänsehaut.“ Der Hilfseinsatz in Ahrweiler wurde für Focko Wintels auch zu einer Verpflichtung. Mit sechs Bekannten aus Bad Bentheim hatte er sich morgens um fünf in den Bulli gesetzt, um im 230 Kilometer entfernten Ahrweiler beim Aufräumen zu helfen. „Wir hatten nur den Ort abgesprochen. Dass wir beim Winzerhof Körtgen gelandet sind, war Zufall.“ 

Mit Schaufeln und Schubkarren wurden Schlamm, Möbel und Geröll aus dem Haus befördert. „Wir wollten kein unaufgefordertes Mitleid zeigen, sondern waren wie immer. Da wurden auch Faxen gemacht.“ Wie bitte? „Die haben genug Elend. Anfangs war die Familie skeptisch. Aber irgendwann haben sie sich an uns auch aufrichten können.“ 

Wintels handelt gezielt. Als langjähriger Leiter einer Hundertschaft der Polizei war er bei den Hochwassern an der Oder 2010 und der Elbe 2013 dabei. „In Lüneburg haben wir zwei Wochen lang vom Sandsäckeschleppen bis zum Schutz vor Plünderungen geholfen. Ich wusste, was jetzt an der Ahr los war.“ Und was benötigt wurde. Entsprechend waren vorher bei einem Aufruf in Bad Bentheim Geldspenden von Privatpersonen und Unternehmen gesammelt worden. Werkzeuge, ein Stromgenerator, Kabel etc. waren im Gepäck. 

„Wir wollten uns nicht an verschiedenen Stellen verzetteln“, blickt Wintels zurück. Es kristallisierte sich heraus, dass am besten dieser einen Familie mit Winzerhof, Restaurant, Ferienwohnungen und Hofladen geholfen würde. Die Aktion – entstanden aus einer WhatsApp-Gruppe eines Kegelclubs – kann mittlerweile auf die Unterstützung des Sportvereins mit 1.600 Mitgliedern setzen. Praktischerweise ist dort Wintels einer von drei ehrenamtlichen Geschäftsführern. Zehn festangestellte Mitarbeiter und bis zu 35 Aushilfen sollen wieder in Lohn und Brot kommen. Dafür waren einige Aktive in den vergangenen Wochen mehrmals in Ahrweiler. Der Wein der vergangenen Saison wurde gerettet. Mitte August waren 35 Vereinsmitglieder unterwegs. Ein Großteil leistete notwendige Pflegearbeiten in den Weinbergen, da sich vor Ort aktuell niemand darum kümmern kann. Ein Baustein für die Existenzsicherung. 

Wintels erzählt von vielen Menschen aus verschiedensten Regionen, die sich in Ahrweiler und den angrenzenden Orten engagieren – so auch aus Grimma. „Die sind gekommen, weil sie nach ihrer Flutkatastrophe 2013 so viel Hilfe bekommen haben, dass sie nun etwas zurückgeben wollten.“ Die Motivation in der eigenen Gruppe sei zunächst ganz verschieden gewesen. „Wenn man aber dieses Elend sieht, bricht eine Emotionsflut über einen ein. Die deckt das Positive im Menschen auf, das oft jahrelang verschüttet ist.“ 

Text und Foto: Rainer Middelberg

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