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Vorsicht Hochspannung - Christlichen Religionsunterricht erteilen

Ein transparenter Umgang mit der persönlichen Religiosität von Lernenden und Lehrenden sowie mit institutionellen und individuellen konfessionellen Unterschieden kann den Blick auf den elementaren Kern des Christlichen schärfen. Ein Meinungsbeitrag von Prof. Dr. Jan Woppowa

Spiritualität, Positionalität, Konfessionalität: Solche Schlagworte sind aktuell wieder hoch im Kurs, wenn es um die Zukunft des Religionsunterrichts geht. Aus Sicht der Unterrichtspraxis sind damit keine geringen Herausforderungen verbunden und wohlüberlegte didaktische Interventionen gefragt, wenn Religionslehrerinnen und Religionslehrer ihre eigene Position im Unterrichtsprozess transparent machen wollen.

Aus institutioneller Sicht werden damit nicht selten (zu) hohe Erwartungen aufgerufen. Insbesondere in Verbindung mit dem Modell der konfessionellen Kooperation wird oftmals von Religionslehrkräften beider Konfessionen gefordert, ihr konfessionelles Bewusstsein zu schärfen, um dem erteilten Unterricht ein konfessionelles Profil geben zu können. Das aber provoziert die Rückfrage, um welches Profil es dabei eigentlich gehen soll oder kann.

Religionslehrerinnen und Religionslehrer agieren in einer Spannung zwischen individueller Religiosität und institutioneller Identität. Das produziert mitunter Konflikte, Überforderungen und Enttäuschungen – nicht zuletzt angesichts der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise einer Kirche, die als System oftmals weit hinter dem zurückbleibt, was sie selbst bezeugt oder bezeugen soll. Aus Sicht der Professionstheorie befinden sich Lehrkräfte mit ihrem schulischen Handeln schon immer in einer strukturellen Antinomie, einer nicht auflösbaren Widersprüchlichkeit. Beispielsweise dann, wenn sie Kinder und Jugendliche zu mündigen Menschen bilden wollen, sie zugleich aber einem System der Disziplinierung und Zensierung unterwerfen müssen. Im Religionsunterricht treten Lehrkräfte einerseits als kirchlich Bevollmächtigte auf, sollen sogar institutionelle Bürgen und Brückenbauer sein. Andererseits wird von ihnen verlangt, ihre individuelle Spiritualität, Konfessionalität und Kirchlichkeit sichtbar zu machen, mit der sie sich mittlerweile nicht selten in großer Distanz zu der sie beauftragenden Kirche befinden.

»Aus diesem Dilemma der Selbstpositionierung zwischen institutioneller Bindung einerseits und individueller religiös-spiritueller Freiheit andererseits gibt es keinen Ausweg.« 

Aus diesem Dilemma der Selbstpositionierung zwischen institutioneller Bindung einerseits und individueller religiös-spiritueller Freiheit andererseits gibt es keinen Ausweg. Das heißt, in und mit dieser Spannung ist eine religiöse Bildung zu realisieren, die diese Spannung nicht verschweigt oder zu entladen versucht, sondern vielmehr zum bildenden Antrieb werden lässt. Denn religiöse Identität wird nicht in der bloßen Übernahme bestehender religiöser Formen oder Formeln gebildet, sondern in ihrer kritischen Anverwandlung.

Auch das können Schülerinnen und Schüler von einer transparenten Positionalität ihrer Lehrerinnen und Lehrer lernen und genau darin scheint das dynamische Profil eines konfessionellen Religionsunterrichts auf. Hierin liegt zudem die Chance eines überkonfessionellen christlichen Religionsunterrichts, sofern er ganz bewusst die individuelle Religiosität von Lernenden und Lehrenden ins Licht hebt, sofern er institutionelle wie individuelle konfessionelle Differenzen und Besonderheiten didaktisch sprechen lässt und sich aus einer konfessionellen Heterogenität heraus auf eine ökumenische Suchbewegung nach dem elementaren Kern des Christlichen macht. Dadurch sind die eigene Konfessionalität oder spirituelle Praxis von Lehrkräften zwar herausgefordert und mitunter auch angefragt. Es lässt sich aber auch etwas gewinnen: Klarheit über den eigenen Standpunkt und die eigene Perspektive des Unterrichtens, Souveränität für das überkonfessionelle Gespräch, neue Impulse für die eigene Spiritualität und nicht zuletzt eine an der Mehrperspektivität dieses Unterrichts erprobte Freiheit zu einer ausdrücklich kritischen Identifikation mit religiösen Traditionen und Institutionen.

Religionslehrende sehen sich damit vor der spannenden und spannungsgeladenen Aufgabe, die eigene Religiosität und spirituelle Praxis ständig neu herauszufordern und herausfordern zu lassen. Sie können und sollen sich dabei aufgefangen und ermutigt fühlen von einer größeren Gemeinschaft Gleichgesinnter. Sich hier und da mit den eigenen, auch sperrigen existenziellen Wahrheiten sichtbar zu machen, ist eine der wertvollsten und zugleich notwendigen Aufgaben religiöser Bildung.

Text: Jan Woppowa
Foto: Photocase.com / Seleneos

Prof. Dr. Jan Woppowa ist Professor für Religionsdidaktik am Institut für Katholische Theologie an der Universität Paderborn

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