Nachgedacht

Schöpfung des Menschen

Gen 1,26-30 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich! Sie sollen walten über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere, die auf der Erde kriechen. Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die auf der Erde kriechen! Dann sprach Gott: Siehe, ich gebe euch alles Gewächs, das Samen bildet auf der ganzen Erde, und alle Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren der Erde, allen Vögeln des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, das Lebensatem in sich hat, gebe ich alles grüne Gewächs zur Nahrung.

Für ein Mehr an „Dekreativität“

ässt sich die Gestaltungsaufgabe, die mit dem schönen bunten Bild des Gärtners aufgerufen ist, tatsächlich derart deutlich aus dem Text ableiten? Übergeht diese Deutung nicht vorschnell die Gewalt, die in dem Text derart offensichtlich zu Tage tritt? Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht – wie viel klarer und unmissverständlicher könnte das Signum göttlich gebilligter Gewaltherrschaft überhaupt noch in einem Text aufscheinen?

Und selbst wenn die exegetischen Einwände, die das Problem dieser Verse wegerklären, zutreffen: Wie lässt sich dann mit seiner Wirkungsgeschichte umgehen? Immerhin führt kaum ein Weg an der Einsicht vorbei, dass sich weite Teile der Tradition bemerkenswert einig darin waren, die besagte Herrschaft über die (anderen) Tiere eben nicht als Fürsorge, sondern als gnadenlose Dominanz, Ausbeutung und Despotismus zu deuten, zu predigen und zu praktizieren. Genauso wäre aber auch zu fragen: Welche Wirkung hatte eigentlich die rechtfertigende Auslegung des Herrschaftsauftrages? Hat sie Christinnen und Christen tatsächlich dazu motiviert, erkennbar anders, sichtlich friedlicher mit anderen Lebewesen umzugehen? Das Gegenteil dürfte der Fall sein – denn auch ein guter Gärtner ist oft gnadenlos im Umgang mit dem, was jeweils als Unkraut gilt.

Mir persönlich genügt der Hinweis auf die wenigen semantischen Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten, die vor allem das hebräische Wort rabbah (herrschen) trägt, auch deswegen jedenfalls nicht mehr, um in die genannte Deutung dieser Verse einzustimmen. Ganz grundsätzlich würde ich auch einen wissenschaftlichen Zugang zu diesem Text nicht darauf reduzieren wollen, immer schon mit frommen Scheuklappen auf Texte zu schauen und dann nur das in ihnen zu finden, was vorher als wünschenswertes Ergebnis definiert wurde. Eine solche Hermeneutik der Wiedererkennung führt selten zu einem gesicherten wissenschaftlichen Ergebnis: Sie bestätigt nur, was auch vorher schon bekannt war – sie hat einen selbsttherapeutischen, aber keinen wissenschaftlichen Zweck.

Etwas weniger einschlägig dürfte eine Beobachtung am Text sein, die vielleicht erst auf den zweiten Blick, dann aber umso deutlicher ins Auge fällt. Der Text bindet die im Herrschaftsauftrag anklingende Gewalt gegenüber den nichtmenschlichen Tieren immerhin sehr unmittelbar an das von ihm am klarsten angesprochene Merkmal menschlicher Kreativität, Gestaltungs- und Schaffenskraft: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde – diese Worte gehen dem Herrschaftsauftrag unmittelbar voraus. Damit zeichnet der Text eine entwicklungsgeschichtliche Konstellation von biopolitischer Relevanz nach, die heute wohl ihren Zenit erreicht haben dürfte: Menschliche Expansion funktionierte im historischen Rückblick nahezu ausschließlich auf Kosten anderer Tiere.

Wenn heutige Schöpfungstheologien gerade im Angesicht dieser verheerenden Situation immer noch mit der Verheißung auf Kreativität locken, dann wiederholen sie damit tragischerweise jenen Gestus, der die kritisierte Situation überhaupt erst hervorgebracht hat. Wenn von der menschlichen Gestaltungsverantwortung die Rede ist, dann können damit sinnvollerweise nicht mehr die ewiggleichen und – wie wir ohnehin wissen – sagenhaft unwirksamen Leerformeln von der menschlichen „Verantwortung“, „Fürsorge“ usw. herbeizitiert werden. Nicht ein Mehr an menschlicher Kreativität ist die Forderung, die dieser Text uns abverlangt, sondern besser: ein Mehr an „Dekreativität“.

Mit diesem Begriff (im Französischen: „Décréation“) hat die französische Philosophin Simone Weil auf den Punkt gebracht, was auch heute geboten wäre: Genauso, wie Gott sich am Ende der ersten Schöpfungserzählung ruhend zurückzieht, stünde auch seinem Ebenbild die von Simone Weil vorgeschlagene Haltung einer „Ent-Schaffung“ oder „Rückschöpfung“ seiner selbst gut zu Gesicht. Weil macht dem Menschen mit dieser Formel den Vorwurf, dass sein Verhaftetbleiben im Zentrum alle anderen Wesen in ihrer jeweiligen Gottesbeziehung blockiere:

„Alles, was ich sehe, höre, atme, berühre, esse, //
alle Wesen, denen ich begegne – //
alles dieses beraube ich seiner Berührung mit Gott, //
und ich beraube Gott seiner Berührung mit all diesem in dem Maße, //
als etwas in mir ‚ich‘ sagt. //
Ich kann etwas tun für all dieses und für Gott, nämlich: //
mich zurückziehen, um das Beisammensein nicht zu stören. //
Ich muss mich zurückziehen, //
damit Gott mit jenen Wesen in Berührung treten kann, //
‚die der Zufall auf meinen Weg stellt und die er liebt. //
Meine Anwesenheit ist zudringlich, //
als ob ich mich zwischen zwei Liebenden oder zwei Freunden befände.“ //

Es ist gerade die Anerkennung einer letztlich auch religiös gefärbten Gewalt, die uns dekreativ werden lässt, die anderen Wesen Platz einräumt – das, was die religiöse Verteidigung mit der Friedfertigkeit dieser Verse unterstellt, wird paradoxerweise erst wirklich einlösbar, wenn an seiner Gewalthaltigkeit festgehalten wird. Es kann deswegen auch heilsam sein, den Herrschaftsauftrag nicht sofort in die theologische Retusche weiterzureichen, um ihn dort kosmetisch verschönern zu lassen, sondern ihn als offene Wunde zu verstehen, als eine Verletzung, die gerade deswegen so tief in die eigene Tradition eingeschrieben ist, um geheilt werden zu können.

Text: Dr. Simone Horstmann

Dr. Simone Horstmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät Humanwissenschaften und Theologie der Technischen Universität Dortmun

Illustration: Patrick Schoden