gestalten
Freiräume schaffen durch Farbe und Form
Ob auf kleiner Leinwand oder großer Glasscheibe – für Jörgen Habedank ist Gestaltung ein Frage-und-Antwort-Spiel. Der Maler über seine Arbeit und wie Gefühle sich in Farben und Kompositionen ausdrücken
Was Malen für mich ist? Der Weg zu einem Bild gestaltet sich bei mir sehr offen. Ich habe vorher keine Vorstellung, wie das Werk aussehen soll, die Arbeit entwickelt sich im Schaffen. Ich arbeite im Spiel mit Licht und klaren Farben; neben den gemalten Farben nutze ich hauchdünne Vliestücher mit verschiedenen Oberflächenstrukturen, die ich collagenartig einsetze. Diese Tücher bereite ich mit Mal- und Druckstrukturen vor, färbe sie ein und füge sie dann in das werdende Bild ein, so dass eine homogene Fläche und zugleich eine Vielschichtigkeit entsteht. Wie bei einem Musikkomponisten, der Klänge aufbaut – auch er hat nicht die komplette Melodie vorab im Kopf, sondern er baut auf, ein Klang ergänzt den nächsten. Eine erste Farbe ist wie eine Frage, auf die ich mit einer anderen Farbe, einer Form oder eben einem geklebten Farbtuch antworte.
So tauche ich tief in das Bild ein. Immer wieder zurücktretend, betrachtend, kontrollierend. Dann wieder ganz eintauchend … Dieser Prozess des Entstehens ist ein spirituelles Erleben – weniger im Sinn einer bestimmten Religion oder Konfession, mehr als künstlerische Versenkung und Meditation, als Eintauchen in eine innere Haltung und in Farbstimmungen, die über das gegenständliche Hier-und-Jetzt hinausgehen. Dafür gibt es keinen gleichbleibenden heiligen Prozess: Manchmal arbeite ich in Stille, manchmal mit lauter Musik, manchmal mit einem Hörbuch.
Meine künstlerische Urquelle ist die nichtgegenständliche Farbmalerei. Innere Prozesse, Gefühle wie Liebe, Zorn, Wärme etc. sind nicht platt bildlich darstellbar. Mit Farben und freien Kompositionen aber lassen sich diese Gefühle annähernd erfassen und darstellen. Eine Sprache der Innerlichkeit entsteht. Die Bildkompositionen sind nicht beliebig, sie versuchen die Sprache der Seele zu berühren. Den Dialog mit dieser Sprache finde ich im offenen Gestaltungsprozess. Ein Wechsel aus zielgerichteter Aktion und „passivem“ Geschehenlassen. Den Zufall habe ich mir als wohlgefälligen Mitarbeiter herangezogen, er arbeitet zuverlässig mit. So kann ich in den für kreatives Arbeiten unerlässlichen Fluss kommen. Zufall bedeutet dabei nicht Willkür, eher Offenheit für andere Stimmen. Ein aussagekräftiges Kunstwerk sollte „innerlich durchgewalkt“, durchdrungen sein. Mein Anspruch ist eine gewisse Tiefe – sei sie farblich oder räumlich. Zudem gelten auch für die nichtgegenständliche Kunst Merkmale wie Goldener Schnitt oder aufeinander abgestimmte Proportionen. Mir hat die intensive Beschäftigung mit alter und moderner Kunstgeschichte ein Qualitätsempfinden gegeben, dem ich sehr dankbar bin. Für mich muss ein Bild in sich stimmig sein – dabei darf es dann durchaus mehrere Interpretationsmöglichkeiten beinhalten und darf Türen öffnen.

Ich spüre zunehmend, dass viele Menschen ein großes Bedürfnis, eine Sehnsucht nach Licht und Wärme haben. Und ich erlebe: Farbigkeit und die freilassende Formgebung treffen auf Sehnsüchte und lösen seelische Prozesse aus. Deshalb arbeite ich so gerne architekturbezogen, als Glas- oder Wandmaler. Dort ästhetisch arbeiten zu dürfen, ermöglicht zumindest punktuell einen Gegenentwurf zur oft tristen Architektur, die uns allgegenwärtig umgibt. Auch im privaten Bereich wächst der Wunsch nach mehr Ästhetik. Gleich mehrfach haben sich während der Corona-Pandemie Menschen bei mir gemeldet, die meinten, dass ihnen in ihren privaten Rückzugsräumen eine „Wohlfühlatmosphäre“ fehle. Das zeigt, dass uns Menschen eine Sehnsucht nach gestalteten Räumen umtreibt, die durch Kunst gestillt werden kann. Die Glaswerkstatt Peters, mit der ich viel zusammenarbeite, realisiert weltweit Projekte im öffentlichen Raum. Zum Beispiel werden derzeit in New York U-Bahn-Stationen individuell von Künstlern aufwendig gestaltet. Das erstaunliche Ergebnis: Die Menschen identifizieren sich mit ihrer Station, es entsteht ihr „Heimatort“. Der Mensch verbindet sich mit Gestaltung (positiver Nebeneffekt: Gestaltungen werden geachtet, es wird dort nicht mehr gesprayt.). Solch eine Einbindung von Kunst in die Architektur befördert den drängenden Wunsch nach Identifikation und Wohlbefinden. In Kirchen ist es noch spezieller. Früher war das Bild hier eine Erzählung. Man hat das Wort ins Bild geholt. Das ist heute aber nicht mehr entscheidend. Ich selbst durfte bei einer Umgestaltung einer Pfarrkirche mitwirken, deren Innenraum ganz klar geordnet, zugleich licht und lebendig gestaltet wurde. Dort sagte mir eine Dame, sie habe zuvor Schwierigkeiten mit der alten Bildsprache gehabt, deshalb sei sie nicht mehr in die Kirche gegangen. Die neue, offene Gestaltung erlebe sie für sich als Freiraum. Gerade die nichtgegenständliche Malerei kann innere Bilder entstehen lassen. Sie kann Fragen auslösen und Gefühle berühren. Sie ist ein offenes Angebot, etwas zu sehen und zu interpretieren. So hatte die Dame offenbar auch für sich neue innere Räume entdeckt und sagte: „Jetzt kann ich wieder in die Kirche gehen.“
Text: Jörgen Habedank
Aufmacherfoto: Michael Hagedorn
Ausdrucksstarke, lichte Farben
Jörgen Habedank, geboren 1961 in Münster, studierte ab 1983 Kunst an der Staatlichen Kunstakademie Münster, ab 1985 Kunst und Kunstpädagogik an der Freien Kunst-Studienstätte Ottersberg. Nach Stationen als Kunst- und Werklehrer sowie Dozent für Kunstgeschichte ist er seit 1994 als freischaffender Künstler tätig. Seit 2010 arbeitet er in seinem Atelier in Tornesch bei Hamburg, in einer alten Mühle. Relikte wie Antriebswellen und Holzräder erinnern noch an die frühere Nutzung. Habedank: „Wo früher gemahlen wurde, wird jetzt gemalt.“ Habedanks Arbeiten sind weitgehend ungegenständlich und oft in kleinen Formaten. Aber es gibt auch bildnerische Themen mit Figuren, Landschaften und Symbolen. Diese Werke sind auch Fundament für die großformatigen Arbeiten der Wandmalerei und architekturbezogene Glasmalerei. Hier kooperiert er mit weltweit führenden Glasmanufakturen. Habedanks Malerei zeichnet sich durch ausdrucksstarke, leuchtende und lichte Farben aus. Mehr unter www.farbige-kunst.de