verbinden
„Stay phazzed“ will Weltmeister werden
Tanzen kann man allein, zu zweit oder in einer Formation. Das Letztere verbindet besonders. Und wenn dann noch Menschen mit ohne Einschränkung in einer Formation zusammen trainieren und zusammen bei Wettkämpfen antreten, dann entstehen Freundschaften fürs Leben.
„Arme anspannen. Rücken gerade. Blick nach oben.“ Patsy Hull geht durch den Tanzsaal und korrigiert Haltungen. Auch wenn sie weiß, dass nicht jeder aus der Tanzgruppe „Stay Phazzed“ ihre Anweisungen gleich gut umsetzen kann. „Aber im Takt bleiben, kann jeder“, sagt sie. Vierzehn junge Tänzerinnen und Tänzer mit und ohne Behinderung sind an diesem Samstagmorgen in die Osnabrücker Tanzschule Hull gekommen. „Ich habe Geburtstag“, verkündet Jona. 23 wird er heute, hat Süßigkeiten mitgebracht freut sich über das leicht schiefe „Happy Birthday“. „Die Gruppe ist wie eine Familie“, sagt der junge Mann, der hier seit zehn Jahren tanzt.
Und das nicht nur samstags. „Ihr könntet eigentlich hier zelten“, sagt Patsy Hull und alle nicken. Freitag, Samstag und Sonntag kommen sie zum Training, dienstags ist „Familientag“, da treffen sie sich nebenan in der Hull Foundation zum Spielen, Kochen, Quatschen. „Wir sind Freunde“, sagt Peter, der ebenfalls schon lange dabei ist.
Dabei war es am Anfang nicht einfach, als Patsy Hull, gemeinsam mit ihrem Bruder Michael Tanzweltmeisterin und Tanzschulinhaberin, 2006 eine integrative Tanzformation gründen wollte. „Ich hatte einen Jugendlichen mit Behinderung im Tanzkurs“, sagt sie. „Und ich dachte: Wo sind all die anderen?“
Nach und nach fand sie einige: Seh- und Hörbehinderte, Spastiker, Kinder mit Downsyndrom. „Ich musste alle überreden zu kommen“, sagt sie. „Die haben gesagt: Soll das ne Freakshow werden?“ Und auch die nichtbehinderten Tänzerinnen und Tänzer mussten sich an den Zuwachs gewöhnen. „Zuerst standen die einen in der einen Ecke, die anderen in der anderen“, sagt Patsy Hull.

Doch das ist vorbei. Jetzt stehen sie bunt gemischt im Tanzraum, in dem sie für den „IDO World Cup Hip Hop“ in Graz trainieren. Und das mit Ehrgeiz. „Die wollen gewinnen“, sagt Hull und hält das nicht für falschen. „Ich finde, genau das ist Integration: Gemeinsam eine Leistung bringen!“ Eine Weltmeisterleistung, wenn’s geht. Pokale verbinden.
Aber davor steht harte Arbeit. Immer wieder heißt es: „Fünf, sechs, sieben acht … Twist, Twist und nach vorn.“ An was man alles denken muss: „Füße und Arme entgegengesetzt. Ellenbogen hoch. Spannung halten … und fünf, sechs, sieben, acht …“ Schon beim Zuschauen wird man schwindelig ob der vielen Schritte, Bewegungen, Drehungen, Haltungen. Wie merkt man sich das?
„Ich habe ein fotografisches Gedächtnis für Bewegungen“, sagt Jona. Peter meint: „Man muss sich schon anstrengen, vor allem für die Meisterschaft.“ Auch Finja ist gefordert. Um aus der Bewegung auf dem Punkt genau stehenzubleiben, muss sie ihren Rollstuhl voll im Griff haben. „Das wird schon“, sagt sie.
Emma fällt alles etwas leichter. Die Dreizehnjährige gehört zu den Tänzerinnen ohne Behinderung. So souverän meistert sie die Choreo, dass sie schon als Trainerin aushilft. „Ich bin in der Grundschule durch eine Freundin in die Gruppe gekommen“, sagt sie. „Mir gefällt, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen und anspornen.“ Mit der Zeit hat sie gelernt, mit den Einschränkungen der anderen gut umzugehen. „Alle entwickeln sich weiter“, sagt Patsy Hull, „körperlich, geistig und sozial“.
Und das ganz nebenbei, denn bei aller Leistungsbereitschaft und allem Siegeswillen steht für „Stay Phazzed“ eines im Vordergrund: „Der Spaß!“, sagt Peter mit einem breiten Grinsen und Jona, Emma und Finja nicken. Tanzen verbindet sie und das, sagt Jona, „für immer“.
P.S.: Das Training hat sich gelohnt. „Stay Phazzed“ hat am letzten Oktoberwochenende den Weltmeistertitel ertanzt. Wieder ein Pokal, der verbindet.
Text: Susanne Haverkamp
Fotos: Hermann Pentermann