suchen

„Sind Sie ein neues Start-up?“

Was suchen die Berliner Großstadtmenschen heute? Die Kirche jedenfalls nicht!, sagt Carla Böhnstedt. Trotzdem ist die Pastoralreferentin auf der Suche nach Suchenden. Manchmal mit einem Eis in der Hand und immer mit mehr Fragen als Antworten im Gepäck.

Vor einigen Jahren hat Carla Böhnstedt gesucht. 16 Jahre war sie in der Gemeindepastoral im Bistum Osnabrück und wollte etwas Neues ausprobieren. „Ich dachte immer häufiger: Wir machen hier Seelsorge für die fünf Prozent, die zu uns kommen. Was ist eigentlich mit den anderen 95 Prozent?“, sagt sie. Dann fand sie eine Stellenanzeige: Suchendenpastoral im Erzbistum Berlin. „Zu meiner eigenen Überraschung wurde ich genommen.“
Suchendenpastoral. Heute steht Carla Böhnstedt dem Wortungetüm skeptisch gegenüber. „Zum einem aus praktischen Gründen“, sagt sie. „Das versteht keiner. Wir haben regelmäßig Post bekommen mit der Aufschrift ‚Suchportal‘ oder ‚Suchtpotential‘.“ Zum anderen grundsätzlich. „Der Begriff vermittelt so ein Gefälle: Du suchst – ich habe schon gefunden. Das ist typisch Kirche. So ein bisschen Klugscheißerchen.“
Wenn Böhnstedt heute unterwegs ist, dann sucht sie das Gespräch. Auf Stadtfesten zum Beispiel, im Kaufhaus, am Brandenburger Tor. Um „den Herzschlag der Stadt“ zu spüren, wie sie sagt, und um „mitten im Leben der Menschen“ zu sein.
Sie kommt dann auch nicht mit einem Kreuz um die Ecke, sondern zum Beispiel mit Geschenkpapier. Gemeinsam mit einer Kommunikationsagentur hatte sie es entworfen: ein Wimmelbild von Berlin – und dazwischen versteckt die Weihnachtsgeschichte. Gott mitten im Leben. „Wir haben im Advent in Kaufhäusern Packstationen aufgebaut. Und sind beim Geschenke einpacken mit den Kunden ins Gespräch gekommen.“ Kurz, aber gut.

Im Sommer kommt sie gern mit dem „ParadEIS-Truck“. „Wir fahren irgendwo hin, machen die Klappe auf, stellen Liegestühle raus und verschenken Eis“, sagt Böhnstedt. Allerdings besondere Sorten. „Wagemut“ heiß eine, „Trostgold“ eine andere. Auf Wunsch mit Wandelsplitter. Oder mit Fragsahne. Und wieder ist man mittendrin im Gespräch. „Zum Beispiel, wenn uns die Frage gestellt wird: Sind Sie ein neues Startup?“, sagt die Theologin und lacht.

Aber auch sie selbst und die anderen vom Truck stellen Fragen. Solche, „die alle existentiell betreffen“, sagt Böhnstedt. Wie schmeckt dein Leben? Von welcher Zutat hättest du gern mehr? Was brauchst du? Worauf baust du? „Es ist erstaunlich und berührend, was uns die Leute dann aus ihrem Leben anvertrauen“, sagt sie. Ihre Freuden und Ängste, Glück und Leid, Trost und Hoffnung, „alles, was ihre Seele berührt“.

„Die Menschen suchen nach Halt“, sagt Böhnstedt, „nach Sinn, einem Fundament. Es soll am Ende nicht egal sein, ob es mich gibt oder nicht.“ Freunde, Familie, das Miteinander – danach suchen sie, das sei ihnen „das Allerheiligste.

Und was ist mit der Suche nach Gott? „Mit Kirche brauchst du den Leuten nicht zu kommen“, sagt Böhnstedt. „Aber die Frage nach einer Macht, nach etwas Göttlichem, das alles Sichtbare übersteigt, das ist vielen total wichtig.“ An dieser Stelle sieht die Theologin sich als Mitsuchende. „Tastend nach Gott fragen, eigene Zweifel und Unsicherheiten benennen, das ist mir wichtig. Keiner braucht schlaue Erklärungen, Lehren und Gebote.“
Und was ist, wenn Leute mehr suchen? Wenn ein kurzer Kontakt nicht reicht? „Dann haben wir auch andere Angebote“, sagt Böhnstedt. Aber sie selbst liebt das „Urban Churching“: nah bei den Menschen, mehr fragen als antworten, mehr zuhören als predigen. „Wir müssen nicht Gott zu den Menschen bringen, der ist längst da“, sagt sie. „Wir müssen nur Anstöße geben, seine Spuren im Alltag zu entdecken.“
Nein, da gibt es kein Gefälle. Nicht die, die suchen und die, die schon gefunden haben. „Es geht nur miteinander“, sagt Carla Böhnstedt. „Gegenseitig erzählen und zuhören, sagen, was mich trägt, hören, was andere trägt. Das erlebe ich als Bereicherung.“

Text: Susanne Haverkamp
Fotos: Jörg Farys

leben mit anderen augen sehen? zoé lesen!