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Wo ist das Glück?

An 16 Grundschulen in Braunschweig ist im vergangenen Schulhalbjahr Glück unterrichtet worden. Die Kinder lernten, kleine Glücksmomente in ihrem Alltag zu entdecken. Der Unterricht hat bei den Schüler*innen und Lehrer*innen Spuren hinterlassen.

In wenigen Minuten startet die Schulstunde. Einige Kinder hängen noch schnell ihre Winterjacken an die Haken der Garderobe und flitzen zu ihrem Klassenraum. Vor der Tür der Klasse 4a an der Grundschule Gliesmarode in Braunschweig stehen an diesem Morgen Stefanie Gehrke und Lena Pape. Vor den beiden Studentinnen liegen drei Karten auf dem Boden. Jedes Kind darf sich aussuchen, wie es von ihnen begrüßt werden möchte: mit einem aus Händen geformten Herzen, mit einem kurzen Tanz oder mit einem Faustcheck. Die Kinder freuen sich und wissen sofort: Jetzt ist wieder Glücksunterricht.

Von Ende Oktober 2022 bis Ende Januar 2023 suchen die Schüler*innen der 4a immer mittwochs in der ersten Schulstunde nach Glück. Wo finde ich es? Wann bin ich glücklich? Kann ich Glücklichsein lernen? Und was kann ich tun, damit sich andere in meiner Nähe auch glücklich fühlen? Insgesamt haben 16 Grundschulen in Braunschweig an dem Projekt teilgenommen, das von der Technischen Universität der Stadt organisiert wird.

Die Idee, mehr Glück und Zufriedenheit in die Schulen zu bringen, hat Tobias Rahm schon länger. Er arbeitet am Institut für Pädagogische Psychologie der TU Braunschweig und hat sich schon in seiner Dissertation dem Thema gewidmet. „Da habe ich ein Training für Lehrkräfte entwickelt, um ihr Wohlbefinden zu steigern. Der nächste Schritt war nun, mich um die Kinder zu kümmern“, sagt der Psychologe.

Fotos: Peter Sierigk

Gemeinsam mit der Autorin Carina Mathes entwickelte er das Projekt „Glücksunterricht in Braunschweiger Grundschulen“ (GlüGS). „Aus der Forschung zur Positiven Psychologie wissen wir, dass Menschen, die sich wohlfühlen, kreativer und produktiver sind. Sie können Probleme besser lösen und wissen, wie sie mit schlechten Gefühlen umgehen müssen“, sagt Rahm. Umso wichtiger sei es, dieses Wissen schon Kindern in der Schule zu vermitteln. „Als Gesellschaft haben wir uns entschieden, dass Fächer wie Mathe und Deutsch wichtig sind. Ich glaube, dass Kompetenzen, das eigene Glück zu fördern und zu finden, unbedingt dazugehören.“

Komplimente, die glücklich machen

In den insgesamt elf Unterrichtsstunden des Projektes lernen die Kinder unter anderem welche Wirkung Komplimente haben, wie sie Gutes tun und achtsam mit sich selbst umgehen können und was der Unterschied zwischen glücklich sein und Glück haben ist.

In der Stunde heute geht es um das Thema Dankbarkeit. Andrea Bieler, die Klassenlehrerin der 4a, hat für jedes Kind eine Postkarte geschrieben, auf der steht, was es auszeichnet oder was es besonders gut kann. „Oh, das ist aber schön“, flüstert ein Mädchen, als es seine Karte gelesen hat. „Danke, Frau Bieler“, sagt ein Junge und lächelt. „Und? Wie fühlt ihr euch jetzt?“, fragt Lena Pape die Kinder. „Das ist ein richtig gutes Gefühl. Deswegen habe ich die Karte gleich zwei Mal gelesen“, sagt Maja. Die Schüler*innen überlegen nun, wofür sie in ihrem Leben dankbar sind: für ihr Zuhause und ihre Familie, für ihre Freunde, für ihre Haustiere, für die Kuschelstunden mit den Eltern.

Pape und Gehrke, die beiden Studentinnen, die den Unterricht leiten, sind jedes Mal wieder von den Antworten der Kinder begeistert. „Ich denke jede Woche, dass das meine Lieblingsstunde war und dann wird sie eine Woche später noch einmal getoppt“, sagt Gehrke. „Die Schüler arbeiten total gut mit und verstehen schnell komplexe Sachverhalte“, sagt Pape. „Wir merken, dass sie Spaß in der Stunde haben – und auch wir gehen immer gut gelaunt aus der Klasse.“

Und die Schüler*innen? „Ich finde den Glücksunterricht super“, sagt Oskar. „Das ist viel spannender als Deutsch“, stimmt ihm Leenke zu. „Ich denke beim Einschlafen jetzt oft darüber nach, welche drei Dinge ich am Tag gut fand. Dann fühle ich mich gleich besser“, erzählt Jannis.

Fotos: Peter Sierigk

Die Kinder sitzen nun in kleinen Gruppen zusammen. Sie überlegen, wofür sie an diesem Morgen dankbar sind: für das leckere Frühstück, für ihre Freunde, für die Möglichkeit zur Schule zu gehen. Ihre Ideen schreiben sie auf einen schmalen Zettel, den sie in ihrer Gruppe zu einer kurzen Kette zusammenkleben. Nun kommen die Kinder in der Mitte des Klassenraums zusammen und hocken sich auf den Teppich. Jede Gruppe trägt vor, was sie aufgeschrieben haben. Die kurzen Ketten fassen sie zu einer langen Dankbarkeitskette zusammen, die im Klassenraum aufgehangen wird.

Der Glücksunterricht hat die Kinder verändert

„Was hat Dankbarkeit denn mit Glück zu tun?“, fragt Stefanie Gehrke in die Runde. „Wenn ich sage, wofür ich dankbar bin, erinnert mich das daran, wie gut es mir geht“, sagt Maja. „Und wenn andere mir Danke sagen, dann fühlt sich das auch gut an“, sagt Eya. „Vielleicht weil ich anderen helfen konnte oder ich für sie da war oder ich sie getröstet habe“, sagt Marlen.

Begeistert von dem Projekt: Schulleiterin Melanie Schröter (links) und Klassenlehrerin Andrea Bieler.

„Die Kinder schauen stärker, wie es anderen geht, was sie tun können, damit es anderen besser geht und sie achten darauf, wie sie sich selbst fühlen.“

Melanie Schröter, Schulleiterin

Die Klassenlehrerin Andrea Bieler hält sich beim Glücksunterricht zurück. Sie sitzt in der letzten Reihe und beobachtet. „Es ist toll, einfach mal zuschauen zu können, ohne Gedanken an den eigenen Unterrichtsplan“, sagt sie. Und sie ist erstaunt: „Es kommen so tolle Antworten von den Kindern – auch von Kindern, von denen ich das gar nicht so erwarten hätte. Es macht mich richtig glücklich, eine Klasse zu haben, die so feinfühlig ist, die einen Blick hat für positive und schöne Dinge und die weiß, wie wichtig das ist.“ Auch Schulleiterin Melanie Schröter ist von dem Projekt begeistert. „Die Kinder sehen nicht mehr nur das Negative. Sie schauen stärker, wie es anderen geht, was sie tun können, damit es anderen besser geht und sie achten darauf, wie sie sich selbst fühlen“, sagt sie. „Ich habe den Eindruck, dass sie insgesamt viel sensibler im Umgang miteinander geworden sind.“

Das bestätigt auch Bieler. Seit der dritten Klasse steht im Klassenraum der 4a ein Komplimente-Glas: Ein Kind, das einem anderen Kind etwas Nettes sagen möchte, darf sich eine Murmel nehmen und in das Glas legen. „Ehrlich gesagt, hatten wir das Glas fast vergessen“, sagt Bieler. „Aber jetzt kommen immer wieder Kinder zu mir, die eine Murmel ins Glas werfen möchten und anderen ein Kompliment machen.“ Im Januar ist das Braunschweiger Projekt zu Ende gegangen. Rahm und sein Team werden nun die Ergebnisse und die Fragebögen wissenschaftlich auswerten. Sein Traum wäre, Glücksstunden als reguläres Unterrichtsfach an Schulen zu haben. „Aber das ist ein dickes Brett zu bohren“, sagt er. Er will versuchen, so viel Inhalt wie möglich von den Glücksstunden in die Schulen zu bringen. „Wir können das an verschiedenen Stellen in der Schulkultur oder im Leitbild der Schulen verankern.“

Melanie Schröter hat eine konkrete Idee für das GlüGS-Projekt für ihre Schule in Gliesmarode. „Wenn der Schulvorstand und das Lehrerkollegium zustimmen, würde ich die Glücks-AG gerne verbindlich in der vierten Klasse für jeweils ein Halbjahr anbieten“, sagt sie. Denn viele Eltern würden sich wünschen, dass auch ihre Kinder Glücksstunden bekämen. Sie sagt: „Wir können nicht früh genug damit anfangen, das Glück im Alltag zu suchen und Techniken zu lernen, das Glück auch zu finden.“

Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Peter Sierigk

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