suchen
„Für uns war das Suchen wichtig, für die Archäologen das Finden“
Katharina Ellinghaus und Falk Tegeder haben in Israel nach Spuren des frühjüdischen Lebens gesucht – zusammen mit Freiwilligen und Experten aus aller Welt. Gefunden haben
sie Steine, Scherben, Freunde und ein Sehnsuchtsland
Für manche ist es ein Kindheitstraum: Archäologie. Tief in der Erde buddeln und Schätze finden. Kleine oder große. Und wenn man Glück hat, sehr viel Glück, gräbt man ganz Troja aus. Natürlich muss man für diesen Kindheitstraum ein Interesse an Geschichte haben. So wie Falk Tegeder. Er studiert in Osnabrück Geschichte und Evangelische Theologie auf Lehramt. „Als ich gehört habe, dass am Lehrstuhl für Altes Testament und Antikes Judentum eine Grabung in Israel angeboten wird, war ich sofort interessiert“, sagt er. „Das Projekt verbindet meine beiden Fächer perfekt.“
Katharina Ellinghaus studiert ebenfalls Evangelische Theologie und arbeitet als Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Anselm C. Hagedorn; der Alttestamentler ist verantwortlich für das Grabungsprojekt. „Ich fand das gleich spannend“, sagt sie. „Das Projekt ist eine internationale Kooperation mit Freiwilligen aus verschiedenen Ländern.“
Tatsächlich ist das Projekt nicht klein. Es ist auf mehrere Jahre angelegt und zur Kooperation gehören neben der Universität Osnabrück insbesondere die Universität Tel Aviv sowie die
Karls-Universität Prag und die Universität Malta, verschiedene Stiftungen fördern es. „Jedes Jahr im August/September gibt es eine Grabungskampagne“, erzählt Katharina Ellinghaus. Drei Wochen dauert die, und sie wird von Profis und Freiwilligen aus aller Welt getragen. „Untergebracht waren wir zusammen in Ein Kerem, im Gästehaus eines Klosters.“
Die Grabungsstelle liegt unterhalb einer Autobahnbrücke rund sieben Kilometer vom antiken Jerusalem entfernt. „Jeden Morgen wurden wir um 5.40 Uhr am Kloster abgeholt, um 6 Uhr begann die Arbeit“, erzählt Falk Tegeder. Und wie sah die aus? „Sehr unterschiedlich“, sagen Tegeder und Ellinghaus. Manchmal hätten sie mit schwerem Gerät Erde abgetragen, um tiefere Schichten freizulegen, manchmal hätten sie ein Mini-Areal in der Größe eines Zeichenblocks vor sich gehabt und Erde gesiebt.

Was mache ich hier eigentlich?
Das ganze Gelände erstreckt sich über rund 200 Meter. „Tel Moza war früher ein Wirtschaftszentrum“, sagt Tegeder. „Es gibt eine alte Tempelanlage, aber auch mehrere Silos wurden ausgegraben, weil die Gegend eine Kornkammer Israels war.“ Ihm selbst hätte die grobe Arbeit am meisten Spaß gemacht. Etwa der Tag mit Erdarbeiten, als eine ganze Kette von Freiwilligen damit beschäftigt war, 160 Eimer Schutt beiseitezuschaffen. „Da konnte ich mich richtig auspowern“, sagt Tegeder und lacht.
Katharina Ellinghaus erinnert sich an einen Tag, an dem sie in Resten des alten Tempels hockte. „Zeitlich befinden wir uns hier im 10./9. Jahrhundert vor Christus“, sagt sie. „Meine Hauptaufgabe war es, Mauerreste freizulegen.“ Mit der großen oder der kleinen Spitzhacke, viel „im Knien und mit ziemlichen Verrenkungen“. Manchmal, sagt Ellinghaus, „habe ich mich gefragt: Was mache ich hier eigentlich? Helfe ich überhaupt? Oder mache ich nicht vielleicht etwas kaputt?“ Erst mit der Zeit, bestätigt auch Falk Tegeder, „bekommt man ein Gefühl für das, was man ausgräbt, für die verschiedenen Schichten.“
„Wer hatte den Krug früher in der Hand?“
Ziemlich viel Zeit verbrachten die Freiwilligen auch mit Bodenproben. „Im ersten Schritt haben wir das Erdreich aus den Eimern grob gesiebt, dann kam das Floating, also das Waschen mit Wasser, und dann das feine Sieben“, sagt Katharina Ellinghaus. Ganz verschiedene Überbleibsel kamen da zum Vorschein: Steine, Knochen, Kohle, Samen, auch Kieferknochen von Tieren haben sie gefunden.
Und dann sind da die Tonscherben. Mit kleinen Nagelbürsten hätten sie alle saubergemacht und auf einem großen Tisch ausgebreitet, sagt Falk Tegeder „Tel Moza war für seine Töpferei bekannt. Es waren so viele Scherben, da sind wir gar nicht hinterhergekommen.“ Und Katharina Ellinghaus ergänzt: „Am Anfang haben wir gedacht, wir hätten vielleicht etwas Tolles gefunden. Aber am Nachmittag kam die Keramikerin durch, fischte zwei, drei Stücke vom Tisch und sagte über den großen Rest: kann weg!“ Ist das nicht frustrierend, stundenlang zu sieben, zu waschen und zu bürsten und dann doch nichts Wichtiges zu finden? Ellinghaus lacht. „Der Vorteil war, dass wir Teile mitnehmen durften, die wissenschaftlich irrelevant waren“, sagt sie. Sie sei ja keine Spezialistin, „deshalb konnte ich mich auch über Kleines freuen.“ Zum Beispiel über den Henkel eines alten Kruges. „Als ich den in der Hand hatte, dachte ich: Wer hatte diesen Krug wohl früher mal in der Hand? Was hat er für ihn oder sie bedeutet? Solch ein Fundstück verbindet uns ja durch die Zeit hindurch mit Menschen, die lange vor uns gelebt haben.“
Falk Tegeder ging es so, als er eine Schicht dünnen hellen Bodens ausgrub, eine Art Putz. „Da sind mal Menschen drübergelaufen“, sagt er. „Das ist schon ein besonderes Gefühl.“ Für die Freiwilligen, da sind sich beide einig, sei es anders als für die Archäologen. „Für uns war das Suchen wichtig, für die Experten das Finden.“ Aber es gibt bei einer solchen dreiwöchigen Expedition ja auch noch Dinge, die man finden kann, ohne sie gesucht zu haben. „Ich habe neue Freunde gefunden“, sagt Falk Tegeder. In der Gruppe der Osnabrücker Studierenden, aber auch weit darüber hinaus. „Nachmittags um drei wurden wir von der Grabungsstelle abgeholt“, erzählt er. Danach habe man sich irgendwann auf der Terrasse des Gästehauses getroffen. „Da war eigentlich immer etwas los“, sagt er. Tschechen und Israelis, Freiwillige aus Australien, Südafrika, Schottland, den USA – alle trafen sich und hatten Spaß zusammen. Mit manchen hält Tegeder Kontakt, und „vielen folge ich jetzt auf Instagram“.
„Im Leben ist es wie in der Archäologie: Man findet etwas, aber dann war es doch nicht das Richtige.“


Gefunden haben Ellinghaus und Tegeder auch ein neues Land und eine neue Kultur. „Wir haben Ausflüge nach Jerusalem gemacht, zur Gedenkstätte Yad Vashem, nach Masada und ans Tote Meer“, erzählen sie. „Ich habe mich richtig wohlgefühlt“, sagt Tegeder, und Ellinghaus ergänzt: „Dieses Nebeneinander der Kulturen und Religionen auf so engem Raum, das hat mich fasziniert.“ Das findet auch Tegeder. „Die ganze Kultur und Gesellschaft hat sich so lebendig angefühlt“, sagt er. „Ich weiß, dass ich auf jeden Fall wieder dorthinreisen und für eine längere Zeit dortbleiben will.“ Vielleicht ja im nächsten Spätsommer zur nächsten
Grabungsperiode? Beide überlegen. „Ja, vielleicht“, sagen sie. Wäre interessant, wie sich das beim zweiten Mal anfühlt. Aber wenn, dann gerne mit einer Verlängerung, um das Land besser kennenzulernen, es gäbe ja noch so viel zu entdecken. Bleibt die Frage: Wenn man als Theologiestudierende ins Heilige Land reist und Tempel aus alter Zeit ausgräbt, findet man dann auch eine größere Nähe zur Religion, gar zu Gott? „Ich habe das nie so theologisch gesehen“, sagt Falk Tegeder offen. „Für mich war eher das geschichtliche Interesse ausschlaggebend.“ Auch Katharina Ellinghaus überlegt. Nein, näher zu Gott vielleicht nicht, aber übers Leben habe sie beim Graben schon nachgedacht. „Die Theologie war nicht meine erste Wahl“, sagt sie. Über Umwege hat sie dorthin gefunden. „Im Leben ist es ein bisschen wie in der Archäologie: Man sucht etwas, meint, es gefunden zu haben, aber dann war es doch nicht das Richtige. Und dann kommt es darauf an, mit dem neuen Fund richtig umzugehen.“ Mit dem, was man findet – egal ob ausdrücklich gesucht oder zufällig ausgegraben – gut umgehen, so dass es einen weiterbringt: tatsächlich keine schlechte Idee für’s eigene Leben.
Text: Susanne Haverkamp
Fotos: David Rafael Moulis