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Mutprobe auf dem Feld
Viele Schüler*innen haben den Kontakt zur Natur verloren. Christiane Hoffrogge will das ändern. Im Schulgarten lernen dieJugendlichen, wie sie Beete anlegen, Gemüse und Kräuter aussäen. Und sie lernen, den Wert von Lebensmitteln neu zu schätzen
Das hier möchte ich heute mit euch einpflanzen. Wer kennt diese Pflanze?“, fragt Christiane Hoffrogge und hält ein kleines Tütchen in die Höhe. Rote und gelbe Blüten sind darauf zu sehen. Die elf Schülerinnen und Schüler, die vor ihr auf dicken Baumstämmen sitzen, überlegen. „Das ist Kapuzinerkresse“, sagt Hoffrogge. „Die ist sehr lecker und gesund. Die Blätter sind würzig-scharf und man kann sie zum Beispiel in einem Salat essen.“
Hoffrogge unterrichtet an der Oberschule im niedersächsischen Spelle Biologie und Chemie. Auf dem Hof ihrer Familie, der drei Kilometer vom Ortskern entfernt liegt, soll nach und nach ein außerschulischer Lernort entstehen, der fächerübergreifend genutzt werden kann. 200 Quadratmeter stellt die Familie dafür zur Verfügung. Neben einer Schüler-AG für Fünft und Sechstklässler, können dort in diesem Schuljahr auch die neunten Klassen im Wahlpflichtbereich gärtnern. „Mir ist in
diesen Schulstunden vor allem wichtig, die Kinder und Jugendlichen nach draußen zu kriegen“, sagt Hoffrogge. In den Wintermonaten fand der Unterricht im Klassenraum statt. Da wurden die Grundlagen gelegt: Die Schüler lernten, wie Pflanzen aufgebaut sind und worauf sie beim Anlegen der Beete achten müssen.
Jetzt, im Frühling und Sommer, fahren die Schüler*innen wöchentlich mit dem Rad raus auf den Hof, um dort Beete anzulegen, Unkraut zu jäten und die Pflanzen zu bewässern. „Wir nutzen die Doppelstunde hier draußen, um durch die Natur zu gehen, Pflanzen zu entdecken und unseren Schulgarten zu pflegen“, sagt Hoffrogge. Das Wissen über die Natur sei bei vielen Schüler*innen verloren gegangen. „Was ist eine Kohlrabipflanze?
Was ist ein Radieschen? Das kennen viele nicht mehr“, sagt Hoffrogge.
Zu Beginn des Unterrichts versammeln sich die Schüler*innen um die vier Hochbeete. Kartoffeln, Rote Beete, Mangold und Pflücksalat wachsen hier. „Und? Was hat sich seit lezter Woche getan“, fragt Hoffrogge. „Da wächst langsam etwas“, sagt ein Schüler. „Ja, genau. Erst letzte Woche haben wir die Samen verteilt und jetzt sehen wir schon die ersten zarten Pflanzen“, sagt Hoffrogge.
„Mir ist in diesen Schulstunden vor allem wichtig, die Kinder und Jugendlichen nach draußen zu kriegen.“


Schüler*innen sehen den Erfolg ihrer Arbeit
Einige Schüler greifen nun zu kleinen Harken und der Gießkanne. Sie lockern vorsichtig die Erde und bewässern das Gemüse. Eine andere Gruppe geht zu einem Beet, das mit alten Waschbetonplatten umrandet ist. Kräuter wie Thymian, Minze, Heiligenkraut und Schnittlauch wachsen hier. Aber eine kleine Ecke ist noch frei. Dort sollen die Schüler die Kapuzinerkresse einsäen. „Ihr könnt auf die kleine Fläche aber nicht die komplette Saat-Tüte kippen. Lest euch die Anleitung gründlich durch“, sagt Hoffrogge. Sie zieht mit dem Finger ein Dreieck in die Erde. An die Spitzen und in der Mitte sollen die Schüler je ein Samenkorn setzen. Geübt nehmen sie eine kleine Harke und bohren mit dem Stiel vier Löcher in den Boden.
Diese Handbewegung zeigt: In den vergangenen Monaten haben die Schüler*innen ein Gespür für die Gartenarbeit entwickelt. „Ich bin total zufrieden mit diesem Kurs“, sagt Hoffrogge. Im vergangenen Spätsommer, als der Unterricht startete, wollten einige Schüler nur ungern in der Erde graben. „Die fanden das total eklig. Die Käfer, die Regenwürmer. Das hat sich jetzt komplett verändert“, sagt Hoffrogge.


„Sie sollen wieder Kontakt zur Natur bekommen.“
Heute packen alle mit an und trauen sich, neue Sachen zu testen. „Einen besseren Lernfortschritt gibt es nicht“, sagt Hoffrogge. In der vergangenen Woche hat sie mit den Schüler*innen Löwenzahn gegessen. „Das war für alle eine Mutprobe. Dass sie das probiert haben, werden sie aber ihr Leben lang nicht vergessen“, sagt Hoffrogge. Und genau darum geht es ihr: „Ich will nicht, dass sie mir eine Pflanze im Detail mit Fachbegriffen beschreiben können. Sie sollen überhaupt wieder Kontakt zur Natur bekommen.“
Zwar hat niemand aus dem Kurs in diesem Frühling ein eigenes Gemüsebeet angelegt, aber sie haben durch den Kurs eine neue Achtung vor Lebensmitteln entwickelt. „Jetzt merkt man, wie viel Arbeit und Pflege nötig ist, dass etwas wächst“, sagt eine Schülerin. Engagiert: Christiane Hoffrogge will Freude an der Natur vermitteln. Bei dem Schulgarten-Projekt wird Hoffrogge von der „GemüseAckerdemie“ unterstützt. Das bundesweite Bildungsprogramm hilft Lehrerinnen und Lehrern beim Anlegen eines Schulgartens. „Viele Schulen haben ein solches Projekt, aber es ist nicht leicht, das nachhaltig zu gestalten, so dass die Beete nicht nach wenigen Monaten wieder brach liegen“, sagt Hoffrogge. Coaches begleiten die Lehrkräfte, geben Tipps und bieten ausführliches Unterrichtsmaterial. „Besonders hilfreich sind die wöchentlichen Newsletter“, sagt Hoffrogge. Darin werden die Lehrer*innen erinnert, zum Beispiel bei Starkregen im Frühjahr regelmäßig die Beete zu harken, Gießpaten für den Sommer zu bestimmen oder Schüler*innen auszuwählen, die bei der Ernte der Früchte helfen.

Sie hofft auf einen guten Ertrag in diesem Jahr. „Vieles, was wir anpflanzen, werden wir direkt hier auf dem Feld probieren“, sagt sie. Radieschen, Kohlrabi, Salat, die verschiedenen Kräuter – all das können die Schüler*innen zwischendurch snacken. Den Rest nutzt der Hauswirtschaftskurs in der Schule.“ Die Schüler*innen haben ihre Aufgaben für heute erledigt.
„Das war heute eine tolle Stunde“, sagt Hoffrogge. „Unsere Beete sehen jetzt wieder tipptopp aus.“ Sie kündigt an, in der nächsten Woche wieder etwas Neues probieren zu wollen und zeigt auf eine Pflanze mit großen Blättern. „Wisst ihr, was das ist?“, fragt sie. Eine Schülerin zeigt auf: „Rhabarber!“ „Genau“, lobt Hoffrogge. „Und nächste Woche machen wir daraus Kompott. Mit unserer Herdplatte, direkt hier auf dem Feld!“
Text: Kerstin Ostendorf
Fotos: Andreas Kühlken